004 - Kerry kauft London
Leben an und ging die Treppe hinunter.
Im Flur sah sie Martin und blieb stehen. »Geben Sie mir einen Spazierstock - irgendeinen -, schnell!«
Der Mann entfernte sich, und als er mit einem Stock mit Elfenbeingriff zurückkam, stand sie schon in der offenen Tür. Sie sah auf die Uhr. Es war zwanzig Minuten vor neun. Eine Taxe brachte sie in die Vigo Street, und je näher sie dem Mann kam, von dem sie wußte, daß er sie liebte, desto leichter wurde ihr ums Herz.
Gordon Bray wartete schon. Sie bezahlte die Fahrt und schickte den Wagen weg.
»Ich wußte, daß Sie hier sein würden«, begrüßte sie ihn leidenschaftlich und legte ihren Arm in den seinen. »Gordon«, fuhr sie atemlos fort. »Sie kennen mich seit drei Jahren.«
»Und fünfundzwanzig Tagen, Fräulein Zeberlieff. Ich zähle die Tage;«
In ihren Augen lag ein Glanz, den er nie zuvor gesehen hatte. »Nennen Sie mich Vera«, bat sie sanft. »Bitte, halten Sie mich nicht für keck … Sie lieben mich doch?«
Die Straßenlampen tanzten vor seinen Augen. »Ich bete Sie an«, stieß er heiser hervor.
»Dann haben Sie noch kurze Zeit Geduld mit mir … und … wenn ich etwas tue … was Ihnen mißfällt…«
»Das können Sie gar nicht.«
Mitten unter all den hastenden Menschen in der Regent Street, die je nach Temperament empört, belustigt oder interessiert zuschauten, küßte er sie.
»Und jetzt«, sagte sie mit flimmernden Augen und stieß ihn zurück, »zeig mir den neuen Laden, den King Kerry gekauft hat.«
»Da ist er«, er zeigte auf den Häuserblock, »das Kunstgeschäft. Es hat in allen Blättern gestanden«
Sie lief den Bürgersteig entlang, bis sie vor die dunklen Fenster des Ladens kam.
Dann hob sie, ohne vorher etwas zu sagen, den Stock, und krachend flog der Elfenbeingriff durch die Spiegelglasscheibe.
Ein Polizist packte sie.
»Mein Gott«, rief Bray, »warum haben Sie das getan?«
»Ich bin Frauenrechtlerin!« schrie Vera und lachte.
Sie lachte noch immer, als man sie in einer Taxe zur Marlborough Street brachte; sie lachte auch, als sie am folgenden Morgen in Abteilung II zu drei Wochen Gefängnis verurteilt wurde.
King Kerry, der mit Bray am Anwaltstisch saß, hatte seinen Spaß. In drei Wochen würde Vera ihr Anteil an dem väterlichen Vermögen zufallen, und die Machenschaften ihres Bruders wären umsonst. Sie würde aus dem Gefängnis als eine in jedem Sinne des Wortes freie Frau herauskommen.
Obgleich Bray sie mit ängstlicher Besorgnis beobachtete, begriff er doch: Es würde für ihn drei Wochen Hölle bedeuten, und nur der Gedanke an ihre Liebe würde ihm helfen können, die Trennung zu ertragen.
Kapitel 15
»Ich konnte gestern abend nicht mehr ins Büro kommen und habe versucht, Sie telefonisch zu erreichen, aber Sie waren nirgends zu finden.«
Elses Ton war ein wenig vorwurfsvoll, denn sie hatte wirklich den Wunsch gehabt, ihn zu sprechen, um ihm eine wundervolle Neuigkeit zu erzählen.
»Ich glaub’s schon«, gab King Kerry zu, indem er sich über das graue Haar strich. Der Millionär hatte beinahe etwas Kindliches, wenn ihm etwas leid tat, und Else mochte ihn in solchen Augenblicken besonders gern.
»Eine junge Freundin von mir hat eins meiner Schaufenster in der Regent Street zerschlagen. Ich komme wirklich nicht aus diesen gräßlichen Polizeiwachen heraus«, entschuldigte er sich reuevoll.
»Eine Frauenrechtlerin?«
»Ich glaube, ja«, nickte er und biß die Spitze einer Zigarre ab. »Sie sitzt jedenfalls.«
»Aber«, protestierte Eise, »Sie haben sie doch nicht einsperren lassen?«
»Aber gewiß doch. Ich habe sogar dem Anwalt aufgetragen, darauf zu dringen.«
Er sah den ratlosen Blick in Elses Gesicht und wartete. »Das paßt ja gar nicht zu Ihnen.« Ein leichter Vorwurf lag in ihrem Ton. »Sie sind so gut und freundlich zu bedrängten Menschen. - Ich hasse den Gedanken, daß Sie anders sein könnten, als ich von Ihnen denke.«
»Jeder ist anders, als die Menschen von ihm denken«, sagte er traurig. »Ich vermute, Sie haben niemals gelesen, was einige der New Yorker Zeitungen über meinen großen Eisenbahnkonzern geschrieben haben. - Ich dachte es mir«, fügte er hinzu, als sie den Kopf schüttelte. »Ich werde Ihnen morgen die Ausschnitte mitbringen, und Sie werden sehen, wie schlecht ein Mensch sein und doch am Gefängnis vorbeikommen kann.«
»Sie werden mich doch nicht überzeugen. Ich glaube noch nicht einmal, daß Sie heute morgen getan haben, was Sie sagten.«
Er nickte heftig.
»Ganz
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