0042 - Der Totenbeschwörer
sie etwas sagte, dann klang es schon mehr als seltsam.«
»Was, zum Beispiel?« Die Frage stellte Bill.
Lester Hanson warf meinem Freund einen gequälte Blick zu. Jill redete so, als wäre ihr Großvater noch am Leben. Angeblich brauchte er sie. Wir fragten daraufhin, woher sie das wisse. Sie lächelte verklärt und erwiderte: »Ich höre sein Rufen. Er gibt mir aus dem Grab heraus bescheid.«
Lester Hanson schwieg, und auch Bill und ich sprachen kein Wort. Beide hingen wir unseren Gedanken nach. Ich dachte an lebende Tote, an sogenannte Zombies. Sollte der alte Hanson ein Zombie gewesen sein? Daß er ein Ghoul war, hielt ich für ausgeschlossen. Ghouls sind Dämonen, aber Hanson war ein Mensch.
Oder?
»Wie hat sich Ihr Vater benommen?« wandte ich mich an Lester Hanson.
Er schaute mich verständnislos an. Ich präzisierte die Frage. »War er in seinem Leben irgendwie anders als ein normaler Mensch? Hat er sich für okkulte Dinge interessiert oder einem magischen Zirkel angehört, der sich mit Totbenbeschwörungen befaßt?«
»Nein«, antwortete Lester Hanson. »Nie. Jedenfalls habe ich nichts davon bemerkt.«
Ich sagte: »Da fällt mir noch etwas ein, Mr. Hanson. Diese Frauen haben sich auch über Ihren Vater unterhalten. Sie sprachen davon, daß er mit offenem Mund und ebenfalls geöffneten Augen begraben worden sei. Stimmt das?«
»Ja, das war in der Tat der Fall.«
Plötzlich schlug Bill mit der flachen Hand auf den Tisch, so daß die leeren Whiskygläser hüpften. »Ich hab’s!« rief er und senkte dann seine Stimme. »Dieser Mann ist ein Nachzehrer!«
»Ein was?« flüsterte Lester Hanson.
»Nachzehrer«, wiederholte Bill Conolly lehnte mich zurück. Wenn Bill Conolly mit seiner Vermutung recht behielt, standen uns böse Zeiten bevor. Nachzehrer sind mindestens so schlimm wie Vampire.
Bisher hatte ich mit dieser Dämonenabart noch nichts zu tun gehabt, nun aber mußten wir uns darauf einstellen, immer vorausgesetzt, daß Bill recht behielt.
»Was sind das für Geschöpfe?« wollte Lester Hanson wissen.
Bill erklärte es, während ich ruhig zuhörte und bereits über eine Graböffnung nachdachte.
»Nachzehrer«, sagte mein Freund, »sind schreckliche Geschöpfe und eine Abart der Vampire oder Wiedergänger. Er heißt, daß sie Menschen, in der Regel Angehörige, nach dem Tod zu sich ins Grab ziehen. Verantwortlich dafür ist die Gier des Nachzehrers nach dem Leben. Er kann nicht überwinden, tot zu sein. Er saugt den anderen ebenfalls das Leben aus. Dabei bereitet er alles genau vor, und es dauert etwas, bis sein Opfer ihm ins Grab folgt. In fernzauberischer Weise zehrt er die Lebenskraft aus, er zerrt dabei an Gliedern und Kleidern und zieht die Verwandten so nach. Besonders gefährdet ist derjenige, der schon im Leben dem Toten sehr nahegestanden und ihm bei der Beerdigung etwas in den Sarg gelegt hat.«
»Aber das ist ja schrecklich«, flüsterte Lester Hanson. Er war blaß wie eine Kinoleinwand.
Doch Bill Conolly war noch nicht fertig. Er redete weiter. »Oft ist der Nachzehrer schon im Leben eine unheimliche und böse Person. Aber zum Nachzehrer kann auch jeder harmlose Tote werden, wenn man nicht bei der Einkleidung und Sarglegung verhütet, daß ihm irgend etwas von der Kleidung zu nahe an den Mund gerät. Man glaubt, daß dann die ganze Familie nachstirbt.«
Lester Hanson stöhnte qualvoll auf. »Glauben Sie denn, daß meine Tochter solch ein Nachzehrer ist?«
Ich mischte mich ein. »Ihre Tochter vielleicht nicht…«
»Aber mein Vater!«
»Wir müssen es leider annehmen«, erwiderte ich.
Lester Hanson sah uns mit flackernden Augen an. »Und was soll ich nun machen?«
Ich lächelte. »Wir, Mr. Hanson.« Ich zündete mir eine Zigarette an. Auch Bill nahm ein Stäbchen. »Wir müssen das Grab Ihres Vaters öffnen.«
»Nein!«
»Doch, Mr. Hanson. Nur dann können wir erkennen, ob wir in Ihrem Vater einen Nachzehrer vor uns haben.«
»Aber woran sehen Sie das?«
»Beweis Nummer eins war das Schmatzen, das wir vernommen haben. Ein widerliches Geräusch, sage ich Ihnen. Im Mittelalter – so sagte es die Überlieferung – hat man Gräber nach Nachzehrern geöffnet. Man sah sie in den Gräbern liegen, und sie haben ihre Kleidung aufgegessen. Und manchmal nicht nur die Kleidung, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Lester Hanson senkte den Kopf. »Ja, Oberinspektor, ich verstehe sehr gut.«
»Geben Sie denn Ihre Einwilligung für eine Graböffnung?« fragte ich.
»Wird mir wohl
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