0043 - Die Geister-Lady
wollten, ausgerissen war. Ich versteckte ihn eine ganze Nacht. Aber am nächsten Tag kam er zu mir in die Küche und sagte, er dürfe mich da nicht mit hineinziehen. Die Sache wäre für ihn schon gefährlich genug, er wolle nicht, dass auch ich darin verwickelt werde. Ich redete ihm zu, zu bleiben, aber er lehnte dankend ab. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Wir vereinbarten zwar, dass ich mich für ihn verwenden würde, dass ich sehen würde, was ich für ihn tun kann und dass er, wenn es ihm möglich sei, nachts zu mir kommen solle, damit wir die nächsten Schritte besprechen können, aber er hat sich bis zum heutigen Tag nicht gemeldet. Von Kyrill Vitali habe ich erfahren, dass er sich in einer Köhlerhütte in der Taiga versteckte. Seither kümmern sich die KGB-Leute um diese Hütte. Ist ja klar…«
»Sie wissen also nicht, wo ich ihn suchen soll«, sagte Zamorra zerknirscht.
Fedja hob die Schultern. »Ist nicht viel, was ich Ihnen im Augenblick zu bieten habe. Ich weiß. Aber was soll ich machen? Ich kann mich nicht selbst auf die Suche machen. Das würde gewiss das Misstrauen des KGB-Oberst wecken.«
»Was haben Sie ihm erzählt?«, fragte Zamorra.
»Eigentlich nichts. Ich habe ihn belogen«, gab Fedja zurück, und er erwähnte im Wesentlichen, was er mit dem KGB-Mann gesprochen hatte. »Fünf Tage bleiben Sie, nicht wahr?«, sagte er dann.
»Ja.«
»Und an vier Tagen haben Sie an der Universität zu tun.«
»Nicht den ganzen Tag. Höchstens zwei Stunden.«
»Und Professor Jakowlew? Den dürfen Sie nicht vergessen. Er wird Sie die übrige Zeit um sich haben wollen.«
»Ich werde mich so rar wie möglich machen.«
»Und wenn er misstrauisch wird? Wenn er unangenehme Fragen stellt? Wenn er wissen will, warum Sie nicht zu ihm kommen, sondern lieber irgendwo zwischen Nowosibirsk und Akademgorod umherstreifen? Was dann, Professor Zamorra?«
»Er darf nichts merken«, knurrte der Parapsychologe.
Lipski wiegte den Kopf. »Da müssen Sie aber verflucht aufpassen. Kein falsches Wort. Kein allzu großes Interesse an der falschen Stelle… Ein Russe hört alles. Auch die Zwischentöne. Wir wurden dafür geschult, wissen Sie?«
»Wollen Sie mir das letzte Fünkchen Hoffnung nehmen?«, fragte Zamorra ärgerlich.
»Ich will bloß erreichen, dass Sie höllisch aufpassen. Mit allem, was Sie reden oder tun. Man beobachtet Sie. Sie sind ein Ausländer. Wenn Sie sich für etwas interessieren, wird man sich fragen, weshalb? Warum und weshalb, das fragt man bei uns immer. Und sobald Sie auf die Straße treten, begegnen Sie dem personifizierten Misstrauen. Es ist in jedem…«
»Auch in Ihnen?«
»Natürlich auch in mir. Ohne Misstrauen kann man in Sibirien nicht existieren. Nur… mein Misstrauen richtet sich nicht gegen Ausländer … Fünf Tage stehen Ihnen also zur Verfügung. Von jedem Tag muss man ein paar Stunden abschlagen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für die Suche nach Semjon Muratow.«
»Ich werde trotzdem alles in meiner Macht stehende versuchen«, sagte Zamorra verbissen.
»Man hat Sie mir nicht ohne Grund als einen außergewöhnlichen Menschen beschrieben… Aber auch Kyrill Vitali ist auf seine Weise außergewöhnlich. Und er hat wesentlich mehr Zeit zur Verfügung als Sie, Professor. Zeit, die er für die Jagd verwenden kann. Nur für die Jagd. Für sonst nichts. Sie werden also einen ungeheuer nervenaufreibenden Wettlauf antreten müssen. Noch dazu gleich gegen zwei Gegner. Ihr erster Gegner ist die Fünftagefrist. Wenn Sie Semjon bis dahin nicht aufgetrieben haben, müssen Sie Ihre Heimreise ohne ihn antreten. Ihr zweiter Gegner ist Oberst Kyrill Vitali. Ein Mann, der den Erfolg gepachtet hat. Stahlhart und grausam. Mit einer Nase, die alles riecht. Sie müssen Semjon schneller finden als der Oberst. Andernfalls können wir die ganze Aktion abblasen – und den armen Semjon Muratow können wir für zwanzig Jahre vergessen …«
Wenig ermutigende Worte.
Aber was für einen Sinn hätte es gehabt, wenn Lipski die Situation schöngefärbt hätte? Man musste den Tatsachen ins Auge sehen. Und die waren nun mal nicht ermutigend.
Zamorra wäre noch gern in der Gegend herumgefahren, um sich mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen, aber die Zeit drängte. Er musste nach Akademgorod zurückkehren, denn um zwanzig Uhr wollte Professor Jakowlew ihn abholen…
***
»Tot!«, röchelte Milda Dagorskaja. »Oleg ist tot!« Ihre Augen schienen sich in Tränen aufzulösen. Sie fiel nach vorn.
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