0047 - Der Alptraum-Garten
La Grange«, sagte ich, »zeigen Sie sich. Es hat keinen Zweck mehr. Sie haben verloren.«
Nach diesen Worten huschte ich einige Schritte nach links, um den Standpunkt zu wechseln.
Wie gut ich daran tat, merkte ich einen Herzschlag später. Plötzlich zuckten gelbrote Mündungsflämmchen auf, zerrissen wie kleine Lichtbomben die Dunkelheit. Und neben mir hackte das Blei in die Wand.
Ich rollte mich weiter.
Jetzt hätte ich zurückschießen können, doch eine Frau hielt die Waffe. Ich konnte es einfach nicht.
Dann verstummte die MPi.
Im nächsten Augenblick hörte ich einen Fluch und dann ein mehrfaches Klicken kurz hintereinander.
Lydia La Grange hatte sich verschossen.
Ich hetzte vom Boden hoch, sprintete auf ein Fenster zu und riß den Vorhang beiseite.
Graues Tageslicht fiel durch das Fenster und erfüllte einen Teil des Zimmers. Madame La Grange hielt sich im Hintergrund des Raumes auf, dort, wo das Licht nicht hinreichte. Ich sah nur die Umrisse von ihr.
Sie hielt die leer geschossene Maschinenpistole noch in der Hand.
Langsam schritt ich auf die Herrscherin der Insel zu. »Es ist vorbei, Madame La Grange«, sagte ich. »Endgültig…«
Sie starrte mich an und sagte nichts. Doch an ihrem Blick erkannte ich, daß sie noch nicht aufgegeben hatte. Sie wollte es einfach nicht wahrhaben, daß das, was sie in all den Jahren aufgebaut hatte, plötzlich zusammengebrochen war.
Ich hatte meinen rechten Arm sinken lassen. Die Mündung der Beretta wies zu Boden.
»Nein, Sinclair!« keuchte sie. »Noch ist nicht alles vorbei: Ich werde dich vernichten. Ich habe Freunde…«
Sie schrie auf und warf mir in einem plötzlichen Anfall von Wut die schwere Maschinenpistole entgegen.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Mir blieb nicht mehr die Zeit, rechtzeitig auszuweichen. Ich sprang zwar noch zur Seite, wurde aber vom Lauf der Waffe an der Schulter getroffen.
Es tat höllisch weh.
Lydia La Grange aber nutzte die Sekunden und verschwand durch die zweite Tür. Ich wollte hinterher, doch da hörte ich das Geräusch.
Es drang aus einer Ecke des Zimmers, die noch nicht vom hereinfallenden Tageslicht getroffen wurde.
In dieser dunklen Insel blieb ich stehen.
Etwas kam näher.
Schleifend und gefährlich…
Meine Blicke fraßen sich förmlich in die dunkle Ecke hinein. Ich sah dort die schemenhaften Bewegungen, und im nächsten Augenblick löste sich ein Körper aus der Dunkelheit.
Es war das Skelett, die naturgetreue Nachbildung meines Erzfeindes, des Schwarzen Tods…
***
Lydia La Grange war wie von Sinnen. Sie hatte die Tür hinter sich zugeschlagen, blieb mit geballten Händen stehen und keuchte: »Umbringen! Er wird ihn umbringen…!«
Sie atmete schwer und keuchend. Das sonst so sorgfältig gekämmte Haar war auseinander gefallen und hing ihr wirr in die Stirn. In den Augen leuchtete der Wahnsinn.
Lydia La Grange war am Ende.
Sie wollte es nur nicht wahrhaben.
Mit taumelnden Schritten rannte sie auf den Ausgang zu. Ihre zitternden Finger fanden die Klinke erst beim zweiten Versuch.
»Freunde!« rief sie. »Meine kleinen, lieben Freunde! Kommt her, das Haus ist offen. Tötet diesen Sinclair. Zerstört ihn!«
Sie stand auf der obersten Treppenstufe, hatte ihre Arme weit ausgebreitet und winkte die lebenden Denkmäler zu sich heran.
Sie war von Sinnen, sah den Schwertkämpfer unten vor der Treppe stehen und stürzte auf ihn zu.
»Laß dich umarmen!« rief sie. »Komm her…«
Das war genau der Augenblick, in dem Suko seine Deckung verließ. Er hatte die Frau beobachtet und sah, wie sie die Treppe hinunterlief.
Auf die lebende Figur zu.
Und der Ritter hielt sein Schwert waagerecht in der Hand, daß die Spitze nach vorn zeigte.
Es kam, wie es kommen mußte.
Sukos Warnschrei ging im wilden Kreischen der Frau unter. Lydia La Grange stürzte auf das lebende Denkmal zu. Der Ritter reagierte zu spät. Er konnte dem Schwert keine andere Richtung mehr geben.
Die Frau fiel in die Klinge hinein.
Wie im Zeitlupentempo sank sie zu Boden, und als sie mit dem Kopf auf den Kies schlug, waren ihre Augen schon gebrochen…
Lydia La Grange hatte das Schicksal ereilt, das sie ihren Gegnern gewünscht hatte…
***
Ich war irgendwie fasziniert von dem Anblick, den das Skelett bot. Diese naturgetreue Imitation meines Erzfeindes stieß mich ab und zog mich zugleich an. Die weißen Augen in dem häßlichen schwarzen Schädel bewegten sich. Sie rollten hin und her. Aus ihnen heraus strömte die Magie, die für all die
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