0047 - Die Geisterfürstin
entgegengingen.
Auf der anderen Seite des Sees angelangt, knieten sich die Mädchen knapp am Ufer nieder. Eunuchen kamen und rissen ihnen die Schleier vom Leib, bis sie splitternackt vor Naonda knieten.
Sie erhob das Schwert zu einem wuchtigen Streich.
Nicole schaffte es, die Augen zu schließen.
Als sie die Augen wieder öffnete, brodelte und kochte es im See.
Naonda ließ das Schwert fallen, als wäre es glühend heiß, und warf die Arme hoch. Der Kopfschmuck fiel dabei herunter.
»Suukaatan, erscheine!«, rief sie kreischend. »Komme, Suukaatan!«
Ihr makelloser Körper wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt.
Die Konturen vibrierten, als stünde sie unter Strom.
Dann warf sie sich zur Erde und breitete die Arme aus.
Über dem See waren die Nebel noch dichter geworden, hatten sich zu einem durchscheinenden Wesen konzentriert, das langsam auf Naonda zuschwebte.
Plötzlich fuhr es wie ein Sturmwind durch die Halle. Blätter wurden von den Palmen gerissen, fegten Schwertern gleich durch die Luft. Es donnerte, und die Erde bebte unter den Füßen. Viele der Lichter in den Schalen verlöschten, machten einem unwirklichen phosphoreszierenden Schimmern Platz, das den Raum erhellte. Blitze zuckten herunter und erhellten gespenstisch die Szenerie, als das Nebelwesen Naonda nahm…
Der Sturm wütete sich hoch zu einem Orkan, peitschte das Wasser der Teiche, ließ die Diwane hochfliegen wie Blätter im Wind.
Naonda wurde eins mit dem Geisterwesen.
Bis es vorbei war.
Dann legte sich auch der Sturm. Lichter flackerten wieder auf. Das Schimmern wich.
Naonda war verschwunden.
Doch das Wesen war noch da.
Suukaatan.
Der Dämon des Bösen.
Er war größer und stärker geworden, auch hatte seine Gestalt sich gefestigt. Man konnte die grässlichen Einzelheiten erkennen.
Einen blutroten Schnabel wie von einem riesigen Papagei, Augen, die düster glommen, und die wie aus der Hölle zu starren schienen.
Je drei Krallen wuchsen aus seinen vier gefiederten Extremitäten.
Violetter Speichel tropfte aus dem Schnabel und verdampfte zischend auf der Erde. Noch war das Wesen nicht in seiner vollen Gestalt zu erkennen.
Und der Dämon sprach mit der klaren Stimme Naondas.
»Noch ist mein Reich nicht gekommen. Achttausendmal wird es Sommer werden, doch dann ist Suukaatan zu seiner vollen Macht gereift. Dann wird er sein Reich errichten, und es wird Wehklagen sein unter den Völkern…« Suukaatan kam über das Wasser des Sees geschwebt, dessen Oberfläche sich wieder beruhigt hatte.
»Wählt eine Königin unter euch«, kam es mit Naondas Stimme.
Eine Klaue zeigte in Nicoles Richtung.
»Und opfert diese Frau bei der Krönung.«
Das Wesen hörte einfach auf zu existieren.
Es verlöschte, wie eine Flamme im kühlen Luftzug.
Die Amazonen brachen in Jubel aus.
***
Zamorra war mit dem ersten Morgengrauen wieder wach geworden. Er spürte, dass etwas Ungeheuerliches geschehen sein musste.
Doch er hatte nicht die Zeit, darüber nachzugrübeln. Er musste Bill und Nicole finden. Er rechnete sich eine geringe Chance aus, Bill auf dem Sklavenmarkt anzutreffen.
Mit knurrendem Magen richtete er sich auf und drapierte die beiden Burnusse wieder so, dass er auf den Straßen nicht auffiel.
Platz der Sonne, hatte er aufgeschnappt. Zamorra ging einfach los und ließ sich von seinen Gefühlen treiben.
Sie würden ihn schon an den richtigen Ort bringen.
Es herrschte sehr viel Betrieb auf den Straßen und Plätzen. Die Menschen waren festlich gekleidet. Zamorra nahm sein Amulett zu Hilfe, um zu erfahren, warum. Ein Sklavenmarkt konnte doch nicht der Anlass für solchen Aufwand sein. Oder war er mit irgendeinem religiösen Fest verknüpft?
Er erfuhr die Antwort aus den Gedanken der anderen.
Eine neue Königin wurde gekrönt.
Und Menschen sollten dabei geopfert werden.
Nein…
Nur ein Mensch…
Eine weiße Frau…
Zamorra bemühte sich nach Kräften, nicht in Panik zu geraten. Er lehnte sich gegen die nächste Mauer, als wäre er betrunken.
Das konnte nur eines bedeuten.
Die einzige weiße Frau in Linaka war Nicole!
Wieder konzentrierte er sich.
Wenn die Sonne den höchsten Punkt erreicht hatte.
Das bedeutete Mittag…
Zamorra dachte an die beiden Schwerter unter seiner Verkleidung.
Und er dachte an die riesige Anzahl von Menschen, die den Platz säumen würden. Den Platz vor dem Königspalast. Mit Hunderten von kriegerischen Amazonen als tödliche Kulisse. Ein Grund zum Verzweifeln? Zamorra atmete schwer. Bill. Er
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