0050 - Der Gelbe Satan
meinte er Suko und Kai-tak. »Ihr beide werdet diesem Mike Kilrain einen Besuch abstatten. Vielleicht findet ihr ihn noch in seiner Wohnung. Ruft bei der Zeitung an und laßt euch seine Adresse geben.«
Die beiden machten sich sofort an die Arbeit.
Der alte Li-Shen aber schaute ihnen nach. Seine Stirn hatte sich in sorgenvolle Falten gelegt.
***
Wie lange die Fahrt mit dem seetüchtigen Ruderboot dauerte, wußte ich nicht. Ich hatte das Gefühl verloren. Alle anderen Gefühle ebenfalls.
Ich spürte meinen Kreislauf nicht mehr und meinte, keine Finger oder Zehen zu haben.
Alles war wie abgestorben.
So konnte man auch jemanden umbringen.
Die Männer am Ruder sprachen ebenso wenig wie der Gelbe Satan oder die vier Vampire. Letztere behielten mich nur scharf im Auge, obwohl das eigentlich Unsinn war, da ich mich kaum rühren konnte.
Und auch von dem Gelben Satan hörte ich nichts. Ich hatte das Gefühl, als müßte er noch seine Kräfte sammeln, um erst zu voller Aktivität aufblühen zu können.
Die lange Dünung der See rollte uns weiter. Ich hoffte darauf, daß irgendwann ein Boot der Küstenwache vorbeifahren und uns entdecken würde, aber das konnte ich mir abschminken. Niemand begegnete uns.
Einmal sah ich einen hellen Schein in der Dunkelheit oben am Himmel kreisen. Der Schein strich alle fünf Sekunden durch die Nacht. Ich nahm an, daß er von einem Wachtturm auf der rotchinesischen Seite abgegeben wurde.
Ich dachte auch darüber nach, wo die Ratten wohl sein konnten. Ins Wasser gesprungen waren sie nicht. Dort wären sie ersoffen. Wahrscheinlich hatten sie sich verteilt und waren in anderen Schlupfwinkeln gekrochen.
Die Geräusche wiederholten sich immer. Das Quietschen der Ruder, das Klatschen der Wellen gegen den Bootsrumpf und das sanfte Schaukeln des Boots.
Ich dachte an Suko. Sicherlich würde er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um mich zu finden. Er krempelte bestimmt ganz Hongkong um, aber wer konnte schon wissen, daß ich hinaus aufs Meer gebracht worden war?
Irgendwann tauchte eine hohe Wand vor dem Bug unseres Kahns auf.
Ein Schiff!
Hatten wir unser Ziel erreicht?
Anscheinend, denn die vier Vampire wurden unruhig, und die beiden Träger zogen ihre Ruder ein.
Vom Schiff her hörte ich halblaute Stimmen. Die Träger erhoben sich und packten zwei Taue, die von Bord des wartenden Schiffes herabhingen.
Mich drehten sie so, daß auch ich die Bordwand sehen konnte. Ein primitives Tragegestell wurde herabgelassen. Es war eine breite Holzplatte, die in zwei Tauschlaufen hing. Damit sollten wir an Bord gehievt werden. Die Winde auf dem Schiff quietschte erbärmlich.
Es war gar nicht einfach, unseren Kahn in der Nähe des Schiffes zu halten, denn immer wieder spielte die Dünung der See uns einen Streich und trieb das Boot wieder ab.
Ich stellte mir vor, daß der Gelbe Satan während des Anlegemanövers ins Wasser fiel und mußte trotz meiner besch… eidenen Lage grinsen.
Leider erfüllte sich mein Wunsch nicht. Die Tragestangen wurden in die Schlaufen gelegt – und, o Wunder, es klappte sogar beim ersten Versuch.
Die beiden Träger gaben Handzeichen.
Die Winde quietschte lauter, und wenig später schwebte die Sänfte mitsamt ihrem Inhalt über dem Wasser.
Dann war ich an der Reihe.
Zuvor jedoch wurde unser Kahn noch einmal abgetrieben, und die Träger schafften es erst im zweiten Anlauf, die Stange in die Schlaufe zu hängen.
Ich war gespannt darauf, ob man mich wenigstens an Bord losbinden würde. Ich schwebte hoch.
Das große Schiff wiegte sich auf den Wellen. Hin und wieder kam ich der Bordwand verdammt nah, einmal schrammte ich sogar mit dem Arm an dem rostigen Metall entlang.
Das Boot blieb unter mir zurück, und wenig später befand ich mich an Bord des Seelenverkäufers. Die Winde drehte sich um hundertachtzig Grad. Zwei Männer nahmen mich in Empfang. Sie lösten den Pfahl aus der Schlaufe und ließen mich auf Deck fallen. Ich stöhnte.
Von dem Gelben Satan sah ich nichts. Wahrscheinlich hatte man ihn unter Deck geschafft.
Die Planken waren schmutzig. Wie ein Film lag der Schmier darauf. Ich drehte mich etwas zur Seite, damit ich die beiden Männer erkennen konnte, die mich hier an Bord in Empfang genommen hatten.
Sie waren keine Vampire. Das sah ich sofort. Aber viel vertrauenserweckender schauten sie auch nicht aus.
In jeder Hafenkneipe wären sie noch aufgefallen. Der eine trug ein Ringelhemd, hatte blauschwarze, schulterlange Haare und ein Gesicht, das von
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