0052 - Der Teufelsring
Dekan Unrecht getan? Ein Versprecher war für einen Greis schließlich jederzeit verzeihlich. Professor Zamorra wusste im Grunde genommen nicht mehr genau, was er von dem Alten zu halten hatte. Deshalb versuchte er die Gedanken an den Nachmittag zu verdrängen. Der Taxifahrer hatte erwartungsgemäß gespurt und das Gepäck wie vereinbart beim Hilton abgegeben. Das Zimmer hatte Zamorra schon telefonisch vom Flughafen aus bestellt gehabt.
Es war ein Luxusappartement.
Als er mit Nicole zu Abend speiste, tönte leise Musik aus den versteckten Lautsprechern, überlagerte den Raum mit anheimelnder, zärtlicher Stereo-Musik.
Sie aßen vorzüglich auf der weiträumigen Terrasse, unter der genau der nierenförmige Swimmingpool mit dem glasklaren Wasser lag. Von ihrem Zimmer aus konnten sie genau das Goldene Horn überblicken, jenen Wasserarm hinter der Galata-Brücke, der zwei Drittel aller Ansichtskarten von Istanbul ziert.
Unter ihnen erwachte die Stadt zu ihrem Nachtleben. Flötentöne klangen von irgendwoher.
Zamorra schob die leeren Teller von sich. Sie hatten Langusten in einer köstlichen Soße mit einem unaussprechlichen Namen gespeist.
Professor Zamorra und Nicole Duval fühlten sich satt und zufrieden. Der Champagner hatte sein übriges getan.
»Fühlst du dich bettschwer?« fragte Professor Zamorra seine Sekretärin.
»In keiner Weise«, antwortete Nicole Duval leise, und ein ungewisses Schnurren lag im Tonfall ihrer Antwort. »Ich fühle mich sehr unternehmungslustig. Du warst doch schon in Istanbul, Chef. Würdest du mir die Stadt noch ein wenig zeigen?«
»Gerne«, antwortete Zamorra. »So gut ich das eben kann. Istanbul verändert, von den Baudenkmälern abgesehen, alle zwei Jahre sein Gesicht. Wo lauschige Fleckchen waren – noch vor zwei Jahren – da stehen heute Betonklötze. Aber hier dürfen sie wenigstens nicht hö- her als die Minarette sein. Auch ein Vorteil dieser Stadt.«
»Zeigst du mir diese Stadt?«
»Ich werde es versuchen. Komm mit.«
Sie standen auf. Professor Zamorra legte einen leichten hellen Staubmantel um Nicoles Schultern. Zwar war es um diese Stunde noch heiß, doch die Nachtkühle würde nicht sehr lange auf sich warten lassen.
Mit dem Lift fuhren sie hinab.
Professor Zamorra verzichtete vorerst auf ein Taxi. Vom Hilton aus konnte man so herrlich die Straßen entlang wandern.
Den Nemec Gaddesi oder den Kadiköy-Boulevard. Professor Zamorra entschied sich für den Boulevard, denn er führte oben am Rand der Küste entlang. Von hier hatte man den besten Ausblick auf das Goldene Horn, einen der schönsten Punkte dieser Welt.
»Toll«, sagte Nicole Duval voller Andacht. »Hier möchte ich immer leben. Hier möchte ich wohnen.«
»Es gefällt dir hier?« fragte Professor Zamorra.
»Ich habe nie eine schönere Stadt gesehen.«
»Du vergisst nur eines.«
»Was?«
»Turhan Ciri ist hier in dieser Gegend verschwunden. Diese Stadt könnte ein Eiterherd des Mühsals und des Grauens werden. Wir sind nicht hier, um hier Urlaub zu machen. Tut mir leid, dass ich dich ausgerechnet in diesem Augenblick daran erinnern muss.«
Nicole hatte Zamorras Lippen zu einem Kuss gesucht. Jetzt lehnte sie sich abrupt zurück.
»Du bist kein Kavalier, Chef.«
»Ich bin ein Dämonenjäger, wie du oft genug betonst. Deshalb sind wir letzten Endes hier. Vergesse das nie, Nicole…«
Das Mädchen schmiegte sich an ihn.
»Wie könnte ich das jemals vergessen. Ich weiß genau, dass du nur zwei Leidenschaften hast. Die eine ist, Dämonen zu fangen, die andere, Dämonen zu vernichten. Ich beklage mich nicht.«
»Eine dritte Leidenschaft habe ich auch noch«, sagte Zamorra leise, und seine feinnervigen Hände spielten dabei in ihrem Haar.
»Aber nicht oft genug…«
»Also gut. Du hast mich überzeugt. Sprechen wir nicht mehr davon. Genießen wir den Abend, wie du es dir gewünscht hast. Ich weiß nicht, wann wir wieder Gelegenheit dazu haben.«
Sie schlenderten weiter.
Von der asiatischen Seite herüber grüßten die Ufer von Üskadar und die Insel mit dem Märchenturm.
»Es gibt eine alte Sage«, meinte Professor Zamorra und deutete zur Insel hinüber. »Einem Sultan wurde geweissagt, dass seine Tochter an einem Schlangenbiss sterben würde. Da hat er auf dieser Insel diesen Turm errichten lassen, wo sie von Schlangen sicher sein sollte. Doch eines Tages schmuggelte der Geliebte dieser Sultanstochter einen Korb mit köstlichen Feigen auf die Insel. In diesem Korb befand sich eine Schlange.
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