0053 - Die Geisterhand
anderen waren sprachlos. Auch die Polizisten faszinierte das Schauspiel. So etwas hatten sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Es war wie im Kino.
Der Dämon flog davon.
Mit Jane Collins und seinem Originalkörper. Er verschwand im Dunkel der Nacht.
Erst jetzt löste sich die Spannung bei den Zuschauern. Die Polizisten waren ratlos und redeten wirr durcheinander. Einer schlug sich gegen die Stirn und rief: »Ich spinne, ich träume, das gibt es nicht!«
Suko und ich schauten uns ernst an. Mein Partner sprach das aus, was ich dachte. »Ob wir gegen ihn ankommen, ist mehr als fraglich.«
»Ja.«
Der Dämon war mit Jane Collins verschwunden, ohne daß wir etwas dagegen unternehmen konnten.
Die Niederlage fraß in mir. Und die Sorge um Jane Collins ebenfalls.
Der Streifenführer trat auf mich zu. Er kannte mich vom Sehen, grüßte und fragte: »Haben Sie eine Erklärung, Sir?«
Ich hob die Schultern. »Nein!«
»Und was soll ich melden, Sir?«
In mir stieg die Wut hoch. Wut über die Ohnmacht, zu der wir verdammt waren. »Sagen Sie, Supermann wäre gekommen!« zischte ich, machte kehrt und ging zum Wagen.
Suko folgte mir.
»Du bist ungerecht«, sagte er.
»Ich weiß, aber auch ich bin nur ein Mensch. Tut mir leid…«
***
Mit rasender Geschwindigkeit kam der Erdboden auf sie zu. Jane Collins schloß die Augen, weil sie Angst hatte, sich die Knochen zu brechen. Doch kurz vorm Aufkommen verringerte sich die Fahrt, und beinahe sacht landeten sie auf einer kleinen Grünfläche nahe der Grenze Soho/Mayfair.
Sofort löste sich der Doppelkörper des Pianisten auf, und nur noch eine Gestalt stand vor der Detektivin.
Es war kaum vorstellbar, daß Jane Sekunden zuvor noch zwei dieser Körper gesehen hatte.
Scaramanga hielt sie fest. Über ihnen rauschte der Nachtwind in den Kronen der Bäume. Sie zeigten bereits die ersten frischen grünen Blätter.
Der Frühling war nah.
Jane fragte sich allerdings, ob sie diese Jahreszeit noch erleben würde. Denn der Dämon mußte einen Grund haben, wenn er sie entführte. Wahrscheinlich wollte er ihren Tod.
Und dabei wußte sie nicht einmal, wer sich hinter diesem hart wirkenden Gesicht verbarg.
Jane nahm allen Mut zusammen. »Wer – wer sind Sie?«
»Mein Name ist Scaramanga«, erwiderte der Pianist. »Antonio Scaramanga.«
Jane Collins überlegte. Hatte sie den Namen schon einmal gehört – oder etwas darüber gelesen? Das mußte in der letzten Zeit gewesen sein.
Aber wo?
Scaramanga bemerkte, daß Jane nachdachte, und er lachte. »Ja, ich bin kein Unbekannter für London«, sagte er. »Ich halte mich bereits einige Wochen in der Stadt auf und gebe Konzerte.«
»Der Pianist«, sagte Jane.
Scaramanga lächelte. »In der Tat, Sie haben es erfaßt, schöne Lady. Ich bin es.«
»Und was haben Sie vor?«
Er lachte. »Ich möchte meine Fähigkeiten nutzen, um an das zu kommen, was vielen Menschen fehlt, was sie sich jedoch immer wieder wünschen. Macht und Geld!«
»Wieso machen Sie…«
Der Pianist ließ Jane Collins gar nicht erst ausreden. Er faßte sie an der Schulter und schob sie voran. »Gehen wir, und versuchen Sie nicht, zu fliehen. Ich würde Sie jederzeit einholen.«
Das glaubte Jane aufs Wort. Mit seinem Doppelkörper war er nahezu unschlagbar.
»Wo bringen Sie mich hin?« fragte Jane, als sie quer über eine Wiese schritten.
»Zu mir.«
»Schön. Und wo ist das?« Jane bekam langsam ihre Fassung, und ihre alte Sicherheit zurück.
»Lassen Sie sich überraschen. Auf jeden Fall ist es ein Ort, an dem Sie niemand findet.«
»Dann werden Sie mich töten?«
Unter den ausladenden Ästen einer alten Platane blieben sie stehen. »Töten? Vielleicht – vielleicht auch nicht. Bis jetzt habe ich niemand getötet. Diejenigen, die gestorben sind, gingen alle freiwillig für mich in den Tod. Sie wären die erste, die es nicht täte.« Er lachte und schaute Jane dabei mit seinen bohrenden Augen so scharf an, daß es ihr angst und bange wurde. Sie spürte jetzt bereits den hypnotischen und dämonischen Einfluß, der von diesem Mann ausging, und sie fragte sich, ob sie ihm jemals würde entrinnen können…
***
Jane war entführt worden, und wir mußten uns damit abfinden, so schwer uns dies auch fiel. Aber da war nichts mehr zu machen.
Wir befanden uns wieder auf der Nordseite der Themse und fuhren in Richtung Ludgate Circus. Rechts der Straße führte auf einem Damm die Eisenbahnlinie vorbei. Dahinter lagen die Häuserfronten wie eine dunkle Mauer.
Suko
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