0053 - Eine Frau, ein Mörder und ich
murmelte ich in Gedanken vor mich hin.
»Eben«, nickte Phil. »Daran dachte ich auch sofort. Außerdem bin ich der Überzeugung, wenn dieser Karton wirklich gestohlen wurde, daß die Sprechstundenhilfe am ehesten Gelegenheit dazu hatte. Sie wußte, wo der Karton zu finden war, wo der Schlüssel für den Giftschrank aufbewahrt wurde und so weiter.«
»Das ergibt einen seltsamen Zusammenhang«, sagte ich und zeichnete drei Kreise auf ein Blatt Papier. »Hier ist Eileen Rivers gestorben, weil sie sich mit Leitungswasser versehentlich eine Luftblase ins Blut spritzte. Diese Rivers war Morphinistin, wie der Arzt der Mordkommission eindeutig festgestellt hat. Man darf also annehmen, daß sie das Leitungswasser für Morphium hielt. Also scheint sie von ihrem Lieferanten betrogen worden zu sein. Diesen Lieferanten kennen wir nicht.«
Phil schaltete sich ein.
»Wir wissen aber, daß eine Ärztin behauptet, ihr wäre ein Karton mit Morphiumampullen gestohlen worden. Diese Ärztin hat einen Bruder, in den ihre Sprechstundenhilfe verliebt ist. Der Bruder ist auf die schiefe Bahn gekommen und kennt die ermordete Bardame Eileen Rivers.«
Ich zeichnete Verbindungslinien unter den drei Kreisen.
»Vielleicht ist also dieser Bruder der Mittelsmann. Nehmen wir an, die Sunfort stiehlt für ihn das Morphium. Einmal ist es für sie ein willkommener zusätzlicher Gelderwerb, denn Morphium wird im Schwarzhandel gut bezahlt, und sie hat Schulden. Zum anderen aber tut sie ihrem Geliebten, dem sie geradezu hörig zu sein scheint, einen Gefallen.«
»Aber dieser Bruder verkauft Wasser anstelle des Morphiums. Wahrscheinlieh reicht das Morphium nicht für alle Interessenten aus, so daß er — um das Geschäft nicht fahren zu lassen — einigen statt des Morphiums Wasser verkauft. Das wäre eine durchaus mögliche Geschichte. Nur — wie spielt dann die Ermodung dieser Mrs. Prieve hinein?«
Ich schob aufseufzend das Blatt mit den Kreisen vom Schreibtisch und ließ es in den Papier korb flattern.
»Du hast recht«, nickte ich niedergeschlagen. »So kommen wir nicht weiter. Wir brauchen zunächst einmal diesen Bruder. Wir müssen wissen, was und wieviel er mit den beiden Geschichten zu tun hat.«.
»Wenn wir wenigstens ein Bild von ihm hätten«, brummte Phil. »Aber wie soll man nach einem Menschen fahnden, von dem man nicht einmal aus objektiver Quelle weiß, wie er aussieht.«
»Da kann ich vielleicht helfen«, sagte ich. »Ich bin in einer Stunde wieder da. Sarah müßte eigentlich eip Bild von von ihm haben. Als seine Schwester!«
Phil gab mir recht. Er wollte sich inzwischen bei Hywood erkundigen, ob dessen Nachforschungen nach dem Verbleib dieses mysteriösen Bruders noch immer kein Resultat gehabt hatten.
Ich setzte Phil am Stadthaus ab und fuhr weiter zu Sarah. Ich kam bei ihr an, als sie gerade ihre Sprechstunde eröffnete. Sie ließ mich zuerst in ihr Ordinationszimmer und sah mich fragend an.
Im Hintergrund hantierte Marry Sunfort an einer Kartei.
»Sarah«, sagte ich, und ich fühlte mich verdammt nicht wohl in meiner Haut. »Hast du ein Bild von George?«
Sie wurde blaß.
»Warum? Ist etwas mit ihm passiert?«
»Nein. Aber wir brauchen ihn. Wir brauchen ihn dringend! Die Nachforschungen im Falle Rivers und im Falle Prieve kommen nicht voran, wenn wir uns nicht vorher mit George unterhalten können. Und da anscheinend niemand seinen jetzigen Aufenthaltsort weiß, müssen wir sämtliche Polizisten New Yorks nach ihm suchen lassen. Wir haben gar keine andere Wahl.«
Sarah wandte sich ab. Ich ging zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Ich kann es nicht ändern, Sarah«, sagte ich. »Wenn ich es nicht tun lasse, wird der Fall einem anderen G-man übertragen, und der wird es dann veranlassen. Die Polizei ist eine Maschinerie, in der es gar nicht darau? ankommt, wer an welcher Stelle steht. Sie gehorcht dem Gesetz der logischen Zwangsläufigkeit…«
»Und dieses Gesetz ist wichtiger als die Menschlichkeit«, stieß Sarah hervor. »Und diese Maschinerie geht über den Menschen, wenn es um ein paar starrer Prinzipien wegen sein muß!« Sie warf sich herum und starrte mich mit weit geöffneten Augen an. »Nicht wahr, Jerry! So ist es doch?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein. So ist es ganz und gar nicht. Der Mörder geht über die Leichen seiner Opfer! Und von uns wird verlangt, wir sollten Rücksicht nehmen! Rücksicht, die am Ende nur dem Mörder zugute kommt! Aber wenn wir jetzt Rücksicht auf deinen
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