0055 - Die Nacht der gelben Kutten
sehr gut getarnt, und außerdem werden sie zumeist schwer bewacht. Wenn ich mir Berg, Wasserfall und Dschungel ansehe, bin ich überzeugt, daß wir Tage dazu brauchen könnten, wenn wir zusammen bleiben. Shandri und ich sind mit einem Messer bewaffnet. Wir können uns also zumindest unseren Weg bahnen. Ich schlage vor, Nicole, daß du dich an Shandri hältst und mit ihm gehst. Ihr übernehmt die Durchforschung des Felsenmassivs und des Waldes links vom Wasserfall. Ich werde mich nach rechts halten und dort alles untersuchen. Die Uhrzeit: kurz vor zehn. Wir wollen unsere Uhren auf zehn Uhr stellen. So. Jeweils in anderthalb Stunden finden wir uns hier wieder zusammen und berichten, was wir gesehen haben.«
Dazu bedurfte es keines weiteren Kommentars. Man hatte Zamorra genau verstanden.
»Also trennen wir uns jetzt, mein Freund«, sagte Nicole und trat auf Zamorra zu. »Laß mich dein Amulett noch einmal spüren. Es soll mir Kraft geben.«
Ohne abzuwarten griff Nicole in Zamorras Jacke. Sie fühlte den wunderbaren, geheimnisvollen Stein.
Doch sie wußte zwei Dinge noch nicht. Daß es eine recht lange Trennung geben würde. Und daß sie die Kraft von Zamorras Amulett bald gebrauchen würde. Genauso wie den unbeschreiblichen Zauber, der von den Zähnen des erlegten Leoparden ausgehen sollte.
***
Die Sonne näherte sich dem Zenith, als Nicole und der Führer Shandri sich einem Felsvorsprung näherten, der das dichte Untergehölz des Dschungels durchbrach.
Der Felsen war von so großem Ausmaß, daß man ihn vom augenblicklichen Standort nicht überblicken konnte.
Nicole hatte das Gefühl, daß hinter diesem Felsen sich etwas Geheimnisvolles verborgen hielt. Sie sah nach oben. Es würde beschwerlich sein, hier hinaufzugelangen. Aber sie mußten es versuchen. Von dort oben mußten sie den besten Überblick und die beste Aussicht über die ganze Gegend haben.
Nicole machte Shandri ein Zeichen, und dieser verstand das Mädchen sofort. Ohne ein Wort zu fragen, machte er sich an der rechten Seite des Felsens an den Aufstieg. Bald war er hinter dichtem Strauchwerk den Blicken Nicoles entschwunden.
Zamorras Sekretärin begann nun selbst, an der linken Seite des Felsmassivs hinaufzuklettern. Dornen ritzten Jacke und Hose ihres Kakhianzugs. Aber der Stoff war fest und dicht, und noch spürte sie keine Kratzer auf ihrer Haut.
Sie kletterten eine halbe Stunde. Dann sah sie sich um. Von Shandri war noch nichts zu sehen. Er müßte auf der anderen Seite des Felsens, den sie jetzt ganz überblicken konnte, schon aufgetaucht sein. Vielleicht war er aber schneller vorangekommen als sie selbst.
Dann würde er sich schon auf der Spitze des Gipfels befinden.
Oder aber der beschwerliche Weg hatte ihn mehr aufgehalten als sie.
Nicole stieg weiter nach oben. Links und rechts stellten sich ihr dornige Sträucher in den Weg, und wenn sie die Zweige vorsichtig umbog, fielen ganze Kaskaden von Wassertropfen auf den felsigen Boden. Der Dschungel war selbst hier, an der Außenseite, wo die Sonne hinkam, von der Dichte und Schwüle einer alten Waschküche.
Dann endlich war Nicole oben angelangt. Und was sie bisher als das Rauschen des Windes in den unermeßlichen Tiefen des Regenwaldes gehalten hatte, entpuppte sich zu ihrem Erstaunen als ein mächtiger Wasserfall, der sich keine hundert Meter vor ihr in allen Farben des Regenbogens in die Tiefe ergoß.
Sofort war Nicole entschlossen, bis dorthin vorzudringen. Sie war sicher, daß Shandri ihren Weg verfolgen würde, sobald er oben am Gipfel angelangt war.
Nicole setzte ihren Entschluß sofort in die Tat um. Ohne auf die Kratzer zu achten, welche die durchstechenden Dornen jetzt auf ihrer Haut verursachten, bahnte sie sich entschlossen einen Weg durch das dichte Gestrüpp.
In weniger als zehn Minuten stand sie vor dem Wasserfall.
Der Anblick überwältigte sie. Gedankenverloren starrte sie in die Tiefe und sah den niederstürzenden Wogen des Wasserfalles nach.
In der Tiefe zerstoben diese Wogen zu Millionen funkelnder, bunter Wasserperlen. Sie wurden nach dem Anprall hochgeschleudert, fielen in sich zusammen und bildeten einen Teil des kleinen Sees zu Füßen des Bergmassivs.
Dann sah Nicole sich um. Sie fragte sich, wo es hier einen geheimen Eingang zum Berg oder dem See dort unten geben könnte.
Da fiel ihr Blick auf die prächtigen Orchideen hinter dem Wasserfall, die wie an einer endlosen Kette aufgehängt schienen.
Nicole konnte dieser Farbenpracht nicht widerstehen. Sie
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