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0055 - Die Nacht der gelben Kutten

0055 - Die Nacht der gelben Kutten

Titel: 0055 - Die Nacht der gelben Kutten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Saupe
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war?
    Sie mußte schnell eine Erklärung finden. Je länger sie überlegte, umso verdächtiger machte sie sich.
    Schließlich hatte sie die Lösung gefunden. Sie gab sich so unbefangen und natürlich wie möglich, als sie Bataks Fragen beantwortete.
    »Ich suche ihn«, sagte sie.
    »Wen suchst du?«
    »Meinen Begleiter«, gab sie zurück. »Du hast mich doch gerade nach ihm gefragt.«
    »Wie kommt ihr hier herauf? Und was wollt ihr hier oben?«
    »Wir kamen zu Fuß«, sagte Nicole schnippisch. Im gleichen Augenblick sah sie, daß sie den Fremden in dem gelben Mönchsgewand nicht reizen durfte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und sein an sich schon grimmiges Gesicht nahm einen Ausdruck von unnachgiebiger Härte an.
    »Ich habe meinen Begleiter verloren«, erklärte sie schnell. »Er ist ein berühmter Wissenschaftler aus Europa. Ein Botaniker. Er schreibt ein Buch über die Vielfalt der Orchideen. Wir sind immer auf der Suche nach neuen und schönen Exemplaren dieser Gattung.«
    Batak schwieg sich aus. Nicole wußte, daß er gerade das Für und Wider ihrer Geschichte abwog.
    Nicole nahm allen Mut zusammen. Da der Fremde nichts einzuwenden hatte, mußte sie versuchen, ihn völlig zu überzeugen.
    »Gestern haben wir am Fluß unten eine ganz seltene Art von Orchidee gefunden. Eine capsulata capanulata«, sagte sie keß. Es gab diese Blume nicht. Es gab nicht einmal den Namen für irgendeine Blume dafür. Aber der Name wirkte bei Batak. Er war so fremdländisch, er klang so wissenschaftlich, daß nur gelehrte Leute ihn aussprechen konnten.
    »Was ist das?« fragte er weniger streng.
    »Das ist eine gekerbte Glockenorchidee«, sagte Nicole trocken.
    »Sie kommt so selten vor, daß meinen Professor und mich ein richtiges Jagdfieber gepackt hat. Und nun haben wir uns beim Suchen verloren«, schloß sie ihren sensationellen Bericht.
    Die Kühnheit und die Sicherheit, mit der sie ihre Version vorgetragen hatte, brachten Batak dazu, ihr zu glauben.
    Aber er war vorsichtig. Er brauchte noch mehr Beweise.
    Er zeigte auf eine der Orchideen, deren Blattwerk sich um die Lianen geschlungen hatte.
    »Wie heißt diese hier?« wollte er wissen.
    »Das ist eine grabata barbota«, sagte Nicole, ohne zu zögern. »Der Name ist lateinisch und bedeutet soviel wie ›die Bärtige‹. Siehst du – hier an der Seite hängen lauter kleine Fädchen an der Blüte, wie kleine Barthaare.«
    »Hm«, machte Batak. »Du scheinst wirklich eine Wissenschaftlerin zu sein. Aber was wolltest du auf der Brücke?«
    »Gar nichts«, sagte Nicole so unbefangen wie möglich. »Es war ein Zufall, daß ich sie entdeckt habe. Ich wäre bestimmt nicht darüber gegangen. Dazu bin ich zu ängstlich. Außerdem muß ich meinen Professor suchen.«
    Da überlegte Batak hin und her. Einerseits hatte die Fremde ihm bewiesen, daß sie sich in der Pflanzenwelt auskannte. Aber was besagte das?
    In seiner Situation galt nur der Befehl des Großen Shuri. Und der besagte, daß kein Fremder das Gebiet des Tempels unter den Wassern als freier Mensch verlassen durfte.
    Ob man mit diesem Mädchen eine Ausnahme machen sollte, mußte der Große Shuri entscheiden.
    »Läßt du mich jetzt vorbei?« fragte Nicole.
    »Nein«, gab Batak zurück. »Das kann ich nicht entscheiden, ob du gehen darfst. Du befindest dich auf geheimem Gebiet.«
    »Ach«, machte Nicole. »Und wem gehört dieser Berg und diese Hängebrücke?«
    »Sie gehört dem Geist der Shuris«, antwortete Batak. »Und ich werde dich jetzt zu ihm führen. Er wird entscheiden, ob du frei sein darfst.«
    Blitzschnell wandte sich Nicole um, damit Batak ihr Gesicht nicht sehen konnte. Der Name der Shuris hatte Nicole vor Furcht erzittern lassen. Und ihr Gesicht war bleich und fahl, wie die Wolken, die der Monsun über dem unheimlichen Land dahintrieb.
    ***
    Auch Shandri, der junge Tamile, hatte inzwischen den Gipfel erreicht. Er sah sich um. Keine Spur von der Sekretärin des europäischen Professors.
    Eingehend untersuchte er den Felsen. Dann pirschte er sich hinüber zu der Stelle, da Nicole Duval den Gipfel erreicht haben mußte.
    Shandri sah noch immer nichts von dem Mädchen. Doch plötzlich – was war das, da drüben? Dort war soeben eine Bewegung gewesen, zwischen den Dornensträuchern am Rande des Dschungels.
    Und dann sah der Tamile den hellen Anzug Nicoles.
    Er war versucht, ihr zuzurufen. Er wollte sie warnen, sich nicht allein so weit vorzuwagen. Aber er wußte auch um seinen Auftrag und die Gefahren, die damit

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