0058 - Meer der mordenden Hände
Quentin war davon recht angetan, wie sie feststellte. Ihre Jeans waren nicht mehr neu, aber sie passten wie angegossen, und das besagte einiges bei Nicole Duvals aufregender Figur. Zamorra war genau wie sie gekleidet: Jeans und himmelblaues T-Shirt. Partnerlook nennt man das.
Quentin Paris legte ab, nachdem er die Leine eingeholt hatte.
»Genug Sprit an Bord?«, erkundigte sich Zamorra.
»Natürlich. Damit können wir einmal rund um die Erde fahren«, gab Paris zurück. Er hielt auf das offene Meer zu.
Als sie den Hafen hinter sich gelassen hatten, wandte sich der Mann von der Wetterstation an Zamorra.
»Gestatten Sie eine neugierige Frage, Professor?«
»Aber ja.«
»Was ist das, das Sie da um den Hals tragen? Es zeichnet sich durch Ihr T-Shirt ab.«
»Es ist ein silbernes Amulett«, sagte Zamorra.
»Darf ich’s mal sehen?«
»Gern.« Zamorra fingerte den Talisman an der Silberkette heraus.
Das grelle Sonnenlicht fiel darauf. Der Widerschein war so stark, dass Quentin Paris die Augen schloss.
»Donnerwetter, ist das ein prächtiges Ding, Professor«, sagte Paris beeindruckt. »Woher haben Sie das?«
»Ein Erbstück.«
»Das dachte ich mir. So was Herrliches kriegt man nicht zu kaufen. Das bleibt in der Familie. Geht von Hand zu Hand. Besteht die Möglichkeit, dass Sie sich davon trennen möchten? Ich würd’s gern kaufen. Ich bin ganz verrückt nach solchen Dingen.«
Zamorra schmunzelte. »Tut mir leid, Quentin. Aber dieser Talisman ist unverkäuflich. Damit hat es nämlich eine besondere Bewandtnis…«
»Geheime Zauberkraft und so, wie?«, sagte Paris lächelnd.
»Bei diesem Amulett trifft das tatsächlich zu, Quentin«, sagte Zamorra so ernst, dass Paris an seinen Worten nicht zweifeln konnte.
Der Mann von der Wetterstation Tonga nickte beeindruckt. »Interessant, Professor. Wirklich sehr interessant. Erzählen Sie mir ein bisschen mehr von Ihrem Zauberamulett. Ich höre solche Geschichten wahnsinnig gern.«
Zamorra gab – während der Kajütkreuzer mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Norden brauste – einige Erlebnisse zum Besten, in denen sein silberner Talisman eine sehr große Rolle gespielt hatte.
Allmählich schlich sich so etwas wie Ehrfurcht in die Augen des Zuhörers. Ein Amulett mit solchen Zauberkräften beeindruckte ihn tief.
Und er sah keine Veranlassung, an Zamorras Worten zu zweifeln.
Als der Professor zu erzählen aufgehört hatte, lachte Paris verlegen und meinte: »Na, dann kann uns heute unter Garantie nichts passieren. Schließlich haben wir den besten Schutz an Bord, den es geben kann.«
***
Tumo war ein alter Fischer mit welker Lederhaut. Die Sonne hatte ihm tiefe Falten ins Gesicht gebrannt. Das Salzwasser hatte seine Hände ausgelaugt, die tägliche Plage hatte die Muskeln des alten Mannes schlaff werden lassen.
Tumo hatte kleine, schwarze Augen, weißes Haar und wulstige Lippen.
Er war unglücklich.
Auf Tonga gab es Hunderttausende von Fliegenden Hunden. Sie galten als heilig, und nur Angehörige des Königshauses durften sie schießen. Unter diesen Tieren befindet sich auch ein weißes Exemplar, und es heißt, dass sich diese Art den Menschen nur unmittelbar vor einem Todesfall zeigt.
Tumo ließ die alten Schultern hängen.
Heute nacht, kurz bevor er mit seinem alten Kahn ausgelaufen war, war ihm ein solcher weißer Fliegender Hund begegnet. Er hatte sich auf dem Weg zum Fischerboot befunden. Bil-Bil, sein zwanzigjähriger Sohn, hatte tief und fest in der Hütte geschlafen. Plötzlich hatte Tumo ein geisterhaftes Schwirren über sich vernommen. Erschrocken hatte er den Kopf gehoben. Einige schwarze Fliegende Hunde waren über ihn hinweggegaukelt. Und dann war ein weißes Tier buchstäblich über ihm in der Luft hängen geblieben.
Tumo hatte einen furchtbaren Schreck bekommen.
Er war zwar alt, aber er fühlte sich noch nicht alt genug, um zu sterben.
Verwirrt hatte er mehrere Bannsprüche gemurmelt, die man bei einer solchen Begegnung sagen musste. Gleichzeitig war ihm aber bewusst, dass er das Schreckliche damit nicht abwenden konnte. Diese Bannsprüche waren mehr ein Trost für den Betroffenen, ein Strohhalm, an den sich der Bedauernswerte noch bis zu seinem nahen Ende klammern konnte.
Tumo steuerte seinen Kahn auf die kleine Insel zu, auf der er zu Hause war.
Der Tag war lange schon angebrochen. Die Sonne stand hoch am Himmel. Normalerweise kehrte Tumo viel früher vom Fischfang zurück. Diesmal war er länger auf dem Meer draußen
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