0063 - Der Hüter des Bösen
alles zu bedeuten?«
Sie sah ihn aus großen Augen an. Hilflosigkeit drückte sich in ihnen aus.
»Bill, du wirst es nicht glauben… Ich habe keine Ahnung. Sag du mir, was passiert ist.«
Hastig sprudelte der Amerikaner hervor, was er gesehen hatte.
Eile tat Not, denn draußen wurden schwere Männerschritte hörbar.
Sein Kampf mit Marcellin, die drei Schüsse, die er abgegeben hatte, der Schrei der Tigerbestie – all dies war wohl nicht ungehört geblieben. Die Männer mit den Sackkarren…
»Erinnere dich, Nicole!«, drängte er. »Hier liegt eine Leiche, und wenn wir nicht in der Lage sind…«
Die Frau hob in ohnmächtiger Verzweiflung die Schultern. »Ich kann mich an nichts erinnern, Bill. Nur eins: Dieser Mann, der da liegt… Ich habe gewusst, dass er hierher kommt. Alles in mir hat danach verlangt, ihn zu töten, ihn zu vernichten. Ich musste es tun, musste es ganz einfach tun, verstehst du?«
Bill verstand kein Wort. Sie redete irre und handelte irre, das war alles, was er verstand. Und er fand zur Zeit auch keine Gelegenheit, sich weitere Gedanken über Nicole zu machen, denn in diesem Augenblick wurde die breite Tür des Schuppens aufgerissen. Mehrere Männer tauchten im Rahmen auf. Sekunden später verschwanden sie genauso schnell, wie sie gekommen waren. Die Tür wurde wieder zugeworfen.
Zuerst war Bill verblüfft. Dann aber verstand er. Er hielt seine Pistole noch immer in der Hand, und diese Männer, Arbeiter und Flughafenangestellte vermutlich, verspürten offenbar wenig Lust, sich von einem vermeintlichen Mörder mit Kugeln durchlöchern zu lassen.
Ganz kurz spielte er mit dem Gedanken, die Gunst des Augenblicks zu nutzen und zusammen mit Nicole einen ›Ausbruchsversuch‹ zu unternehmen. Er setzte diese Idee jedoch nicht in die Tat um. Er war kein Krimineller, auch wenn es vielleicht so aussah. Und eine Flucht würde alles nur noch viel schlimmer machen.
Kurz darauf gellten draußen die Sirenen eines oder mehrerer Polizeiwagen auf. Wenig später drang eine energische Stimme an sein Ohr, megaphonverstärkt.
»Sie sind umstellt und haben keine Chance. Verlassen Sie mit erhobenen Händen das Gebäude!«
Bill ließ seine Pistole in das Schulterholster zurückgleiten.
»Gehen wir, Nicole?«
***
Brüssel!
Professor Zamorra ertappte sich immer wieder dabei, dass er an diese Stadt dachte.
In Brüssel, dort hielt sich Nicole Duval auf, die Frau, die ihn schamlos bestohlen hatte. Das Verlangen, Vergeltung zu üben, wurde immer größer. Alles in ihm drängte danach, mit ihr abzurechnen.
Lieber Himmel, wenn er sich vorstellte, dass es eine Zeit gegeben hatte, in der er Sympathie für sie verspürt hatte. Er musste ein Brett vor dem Kopf gehabt haben. Wie konnte man einem solchen Weib gegenüber etwas anderes empfinden als tiefste Abneigung?
In Gedanken stellte er sich schon vor, was er alles mit ihr anstellen würde, wenn er sie endlich vor sich hatte. Er berauschte sich regelrecht an diesen Träumen seiner Phantasie. Oh ja, Nicole Duval würde sich noch wundern.
Er spürte in seinem tiefsten Inneren, dass es zumindest noch eine Seele auf der Welt gab, die genauso von diesem Weibsstück dachte, wie er selbst. Zwischen ihm und dieser unbekannten Seele spannte sich ein unsichtbares Band. So wie er sich von Nicole Duval abgestoßen fühlte, fühlte er sich zu diesem Unbekannten hingezogen.
Es war deshalb ein schwerer Schock für ihn, als das unsichtbare Band plötzlich riss. Ihm war, als hätte man ihm einen dumpfen Schlag versetzt, der ihn förmlich lähmte.
Diese seelische Lähmung war jedoch nicht von langer Dauer. Sie schlug bald ins Gegenteil um, erfüllte ihn mit ungeahnter Energie und ungestümer Tatkraft.
Er wusste ganz genau, wer die Verantwortung dafür trug, dass er keine Verbindung mehr mit der verwandten Seele hatte.
Nicole Duval!
Nichts mehr hielt ihn auf Château Montagne.
Er stürzte zum Telefon und wählte die Nummer eines befreundeten Landedelmanns, dessen Gut ganz in der Nähe lag.
Endlich meldete sich der Freund.
»Lucien, wir sind doch gute Nachbarn, nicht wahr? Würdest du mir einen großen Gefallen tun? Wunderbar! Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mir für einen Tag deine Sportmaschine leihen könntest!«
***
Und noch ein Mensch wurde von einer unwiderstehlichen Reiselust gepackt: Jacques Giraudoux.
Zuerst war er ungemein froh gewesen, dass dieser Halunke Mouslin sein Köfferchen gepackt hatte und nach Paris zurückgeflogen war. Dann jedoch fing er an,
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