0064 - Der Hexer von Paris
Kleingeld. Es war sozusagen ihre persönliche Spardose. Und das Geld hatte sie auch damals in der anderen Welt nicht verloren.
Caroline nahm das Geld heraus und verbarg die Münzen in ihrer kleinen Faust.
Dann ging sie wieder zum Bett zurück, und bevor sie sich hinlegte, drückte sie den Knopf.
Jetzt schellte es im Schwesternraum.
Doch es tat sich nichts.
Das Mädchen wartete vergebens.
Sie klingelte abermals. Diesmal ließ sie den Daumen länger liegen. Dann legte sie sich wieder zurück.
Und es kam jemand.
An den schweren Schritten erkannte sie Sarah, die Nachtschwester. Ein Schlüssel ratschte im Schloß, und im nächsten Moment flog die Zimmertür auf.
Vom Gang her fiel Licht durch die Öffnung, die jedoch von der massigen Frauengestalt fast vollständig verdeckt wurde.
»Was willst du?« fragte die Schwester in ihrem »freundlichen« Ton. Sie hatte mal wieder schlechte Laune und mochte es überhaupt nicht, wenn man sie bei der Lektüre eines Liebesschmökers störte.
Caroline gab ihrer Stimme einen ängstlichen Ton, was ihr nicht einmal schwerfiel. »Ich muß zur Toilette.«
»Kannst du das nicht abends machen?«
»Wenn ich aber muß…«
»Okay, steh auf.«
Caroline schwang sich aus dem Bett. Die Schwester beobachtete sie dabei. Sie war fast so breit wie lang und nahm es an Kraft mit fast jedem Mann auf. Vielleicht hatte man ihr auch deshalb den Namen Catcher gegeben. Aber das durfte die Frau nicht hören, es hätte sonst eine Katastrophe gegeben.
Vor der Schwester blieb das Kind stehen. Caroline schaute zu dem Fleischberg hoch. Sie sah sogar den Damenbart auf der Oberlippe zittern.
»Darf ich vorbei?«
»Ja, geh.« Sarah machte Platz. Sie ließ Caroline vorgehen und walzte hinter ihr her.
Die Toilette lag am Ende des Ganges, und gar nicht weit entfernt befand sich auch die erste Telefonzelle.
Das Mädchen verlangsamte seine Schritte, je näher es der Toilette kam.
»Geh schneller«, herrschte Sarah. »Ich habe keine Lust, wegen dir kalten Kaffee zu trinken.«
Caroline schaute über die Schulter zurück. »Entschuldigen Sie, Schwester Sarah, aber es dauert bei mir etwas länger. Tut mir leid. Sie können ja Ihren Kaffee trinken. Ich – ich rufe Sie dann.«
Caroline war innerlich gespannt. Wie würde die Frau reagieren? Würde sie auf ihren Vorschlag eingehen?
Sarah überlegte. Sie dachte an den Kaffee und ihren »spannenden« Liebesroman, der neben der Tasse lag. Dann meinte sie: »Ist gut, Caroline, du kannst mich rufen.« Sie machte auf dem Absatz kehrt, ging ein paar Schritte zurück und verschwand durch eine breite Tür.
Caroline wartete, bis die Tür zugefallen war und huschte dann auf die Telefonzelle zu.
Sie kannte Jane Collins’ Nummer nicht, aber in der Zelle lagen die Londoner Telefonbücher. Das Mädchen fand die Nummer der Privatdetektivin ziemlich schnell. Außerdem war der Name fettgedruckt.
Caroline Potter warf die Geldstücke in den Schlitz und begann zu wählen…
***
Jane Collins schlief.
Aber es war kein fester, tiefer Schlaf, sondern mehr ein Dahindämmern, von schlimmen Träumen geplagt. Sie sah sich eingekreist von schrecklichen Monstern, unheimlichen Kreaturen und zähnefletschenden Raubtieren. Ihr Beruf ließ sich eben auch nicht aus ihrem Unterbewußtsein drängen. Schließlich wurde Jane wach.
Sie war in Schweiß gebadet, das dünne Nachthemd klebte am Körper. Jane warf einen Blick auf die Uhr.
Mitternacht war längst vorbei.
Mit gespreizten Fingern fuhr sie durch ihr langes blondes Haar und stand auf. Sie spürte einen pelzigen Geschmack im Mund und mußte etwas trinken.
Jane ging in die Küche und fand im Kühlschrank eine halb gefüllte Flasche mit Orangensaft. Sie schenkte sich ein Glas ein und leerte es mit langen, durstigen Zügen.
Es war still in der Wohnung. Aus der Diele ertönte das monotone Ticken der Wanduhr.
Und gerade in dieser Stille klang das Schrillen des Telefons doppelt auf. Jane fuhr zusammen. Vor Schreck wäre ihr fast das Glas aus der Hand gerutscht. Sie stellte es weg und lief in den Livingroom zum Telefon, wo sich der Hauptanschluß befand. Einen zweiten Apparat hatte Jane noch im Schlafzimmer stehen.
Sie hob ab. »Collins?«
»Sind Sie es wirklich?«
Jane erkannte die Stimme sofort. Sie gehörte Caroline Potter, dem neunjährigen Mädchen. Sofort wurde die Detektivin wachsam. Wenn Caroline mitten in der Nacht anrief, hatte dies sicherlich einen besonderen Grund. Zum Spaß tat sie das nicht.
»Kann ich dir helfen,
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