0064 - Der Hexer von Paris
nach Likör und verschüttetem Pastis.
Der Taxifahrer legte Roger seine Hand auf die Schulter. »Du mußt links gehen. Mit der Bar hast du nichts zu tun.«
»Ich weiß nicht«, murmelte der junge Mann, »haben Sie kein anderes Hotel.«
»Ach, du mußt das nicht so eng sehen«, sprach der Fahrer auf Roger ein. »Hier ist es schon gut. Das Äußere täuscht.« Er schob Roger Dolain kurzerhand auf die Tür zu.
Madame saß unten am Empfang. »Ah, ein neuer Gast«, begrüßte sie den jungen Roger. »Zum erstenmal in Paris, mein Kleiner, nicht wahr?«
Als Roger nickte, drückte Madame ihn an ihre gewaltige Brust und zerquetschte ihn fast. Roger rümpfte die Nase. Madame Rosa roch ihm zu sehr nach Schweiß und Knoblauch.
»Dann kann ich ja wieder fahren«, sagte der Taxifahrer.
»Natürlich, kannst du. Hau ab!« Madame löste sich von dem jungen Roger und wedelte mit beiden Händen.
Der Fahrer grinste schief, als er sich verzog.
Madame Rosa trug ein Kleid mit aufgedruckten großen Blumen. Im Nacken war es nicht mehr zu schließen, der Reißverschluß stand offen. Madame hatte in letzter Zeit leicht zugenommen.
»Wo möchtest du wohnen, Junge?« fragte sie.
Roger Dolain hob die Schultern.
»Ach, Junge. Sag mir, wie du heißt.« Madame spielte die mütterliche Rolle.
»Roger Dolain.«
»Woher kommst du?«
»Aus dem Elsaß.«
Madame Rosa verdrehte die Augen. Auf ihrem geschminkten, hochglänzenden Gesicht schien die Sonne aufzugehen. »Aus dem Elsaß. Wo die Hügel sind. Die Wälder. Wunderschön.«
»Waren Sie schon einmal dort?«
»Nein, aber man hat mir davon erzählt.« Sie legte vertrauensvoll eine Hand auf Rogers Schulter. »Weißt du, mein Kleiner, ich vermiete die Zimmer immer danach, aus welchen Gegenden die Gäste kommen. Du stammst aus dem Elsaß. Dort ist es etwas gebirgig. Und deshalb bekommst du ein Zimmer in der letzten Etage.«
Roger nickte nur.
»Komm, Junge.«
»Kann man von dort aus den Eiffelturm sehen?« fragte er schüchtern an.
»Aber sicher. Das ist das Zimmer mit dem besten Ausblick, mein Kleiner. Du wirst dich wohlfühlen.« Madame Rosa schob Roger auf den altersschwachen Gitterfahrstuhl zu, der aussah, als würde er jeden Moment zusammenbrechen.
Madame zog die Tür auf. »Bitte tritt ein, mein Junge.«
»Hält der denn?« fragte Roger skeptisch.
»Er hat schon über dreißig Jahre gehalten«, bekam er zur Antwort.
Roger stieg ein.
Madame Rosa zog einen Hebel nach unten. Ruckweise zog der Fahrstuhl an. Er quietschte und rasselte erbärmlich. Madame Rosa aber lächelte zufrieden. Sie war der Typ Frau, wie Roger sie aus einschlägigen Filmen kannte. Ziemlich korpulent, grell geschminkt, rote Haare, ein buntes Kleid. Es fehlte nur noch die Zigarette mit der langen Spitze, dann war die Filmfigur fertig.
»Wieviel kostet das Zimmer denn?« erkundigte sich Roger.
»Darüber reden wir morgen.«
»Viel Geld habe ich nicht.«
Madame tätschelte Rogers Wangen. »Brauchst du auch nicht, mein Kleiner.« Sie preßte ihre Hand auf den linken Busen. »Ich habe ein Herz für Provinzler.«
»Na ja.«
Der Fahrstuhl hielt. Sehr wohl war Roger nicht, als er ausstieg und einen engen, muffig riechenden Flur betrat. Madame drückte sich an ihm vorbei und schritt auf eine schmale Tür zu. Sie lag am Ende des Ganges.
»Bitte sehr«, sagte Madame und öffnete.
Roger Dolain betrat das Zimmer. Es war ebenso muffig wie der Flur, dazu winzig und mit einem kleinen Fenster versehen, durch das kaum ein Kopf paßte.
»Das ist dein Reich«, verkündete Madame stolz.
Als Reich konnte man die Bude beim besten Willen nicht bezeichnen. Das Bett stammte aus den Gründerjahren, der kleine Spind besaß nur noch drei Beine, die Lampe unter der Decke zeigte ein Muster aus Fliegendreck, und das Waschbecken bestand aus Blech mit einer Emailleschicht überzogen. Vor dem Bett lag ein alter Sisalläufer, auf den man kaum zu treten wagte, aus Angst, man könnte festkleben. Die Holzbohlen bogen sich bei jedem Schritt und verursachten knarrende Geräusche.
»Nun ja, es ist kein Palast«, schränkte Madame ein, »aber dafür ist es auch nicht teuer.«
»Wieviel kostet das Zimmer denn?« wollte Roger endlich wissen.
Madame nannte eine Summe, und der junge Dolain schluckte. Im Geiste strich er zwei Tage von seinem Paris-Aufenthalt.
Die Frau lächelte unschuldig. »Ist das zuviel?«
»Nein, nein, schon gut.« Roger wollte seine Geldbörse hervorholen, doch Madame winkte großzügig ab. »Das kannst du morgen früh
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