0069 - Der unheimliche Bogenschütze
floh auf die Schlafzimmertür zu, riß sie auf, stürzte über die Schwelle und hämmerte die Tür sofort hinter sich zu.
Blitzschnell drehte sie den Schlüssel herum.
Custer war der Gelackmeierte. Die Tür wäre ihm fast noch gegen die Stirn geknallt, weil er hinter seiner Gattin herrannte.
Wütend blieb er stehen. »Mach auf, du Schlampe!«
»Nein« klang es erstickt.
Custer hämmerte mit den Fäusten gegen die Füllung. »Los, öffne, oder ich mache dich fertig!«
»Dann tu’s doch. Und damit du es weißt, du Mistkerl, ich verlasse dich. Ja, ich gehe!«
Custer lachte kalt. »Dann landest du wieder in der Gosse.«
»Lieber dort, als bei dir zu sein.«
»Bitte, ich halte dich nicht. Du mußt wissen, was du machst.«
Weinend sank Madelaine Custer auf das große weiße Doppelbett. Sie vergrub ihr Gesicht in beide Hände. Wäre sie doch nur nicht mit hergekommen. Sie hatte ja vorgehabt, zu Hause in London zu bleiben, aber ihr Mann drängte zu sehr.
Das war jetzt die Quittung.
Mit einem Ruck setzte sie sich wieder auf. So leicht wollte sie sich nicht abfertigen lassen. Nein, sie bestimmte den Zeitpunkt, wann sie verschwand.
Und das war jetzt.
Keine Minute länger wollte sie in diesem Schloß und mit dem Mörder unter einem Dach bleiben.
Leider besaß das Zimmer keine Tür zum Gang hin. Also kam eine Flucht nicht in Frage.
Die Frau stand wieder auf und schritt schwerfällig zum Fenster. Die Sonne sank dem Horizont entgegen. In den Tälern lagen bereits die ersten Schatten der Dämmerung. Aber noch war es hell genug, um alles erkennen zu können.
Da hatte sie die Idee.
Das Fenster!
Ja, sie konnte aus dem Fenster entkommen.
Es war sehr hoch, höher als in den normalen Häusern. Aber man hatte es nachträglich eingebaut, und relativ zum Alter des Schlosses gesehen war es modern.
Die Frau fand einen Riegel und wollte ihn nach unten drücken.
Er klemmte.
Madelaine stieß einen nicht gerade feinen Fluch aus und startete einen zweiten Versuch. Sie hängte sich mit ihrem gesamten Gewicht an den Riegel, hoffte, daß er nicht brach, und schaffte es, ihn zu bewegen.
Er wanderte knirschend nach unten.
Madelaine atmete auf.
Den ersten Teil hatte sie geschafft, doch der zweite, schwierigste, lag noch vor ihr.
Sie beugte sich aus dem Fenster und schaute an der Fassade entlang. Zum Glück verlief sie nicht glatt und fugenlos, sondern rissig und spaltenreich.
Aber ein Sprung aus zehn Yards Höhe auf den felsigen Boden war unmöglich.
Madelaine konnte Halt finden.
Sie schaute an sich herab, sah, daß sie nicht die passenden Schuhe trug, und öffnete hastig einen ihrer Koffer.
Die ehemalige Stripperin hatte mehrere Paare Schuhe mitgenommen. Unter anderem auch welche mit relativ flachen Absätzen.
In die schlüpfte sie hinein.
Sie horchte noch einmal an der Tür, doch ihr Mann verhielt sich zum Glück ruhig. Er schien keinen Verdacht zu schöpfen.
Die Frau nickte und lief wieder zum Fenster. Das Kleid hatte sie hochgekrempelt und mit zwei Sicherheitsnadeln festgesteckt. So mußte es gehen. Sie warf sich noch eine leichte Strickjacke über die Schultern und kletterte dann aus dem Fenster.
Das Hinaussteigen war ein Kinderspiel. Dann hockte sie rittlings auf der Fensterbank und schaute in die Tiefe.
Jetzt bekam sie doch etwas Angst.
Madelaine hoffte auch, daß niemand aus einem der anderen Fenster schaute und ihr zusah. Sie wollte ganz allein weg.
Langsam schwang sie das linke Bein über den Rand. Dann drehte sie ihren Oberkörper, so daß sie mit dem Gesicht zum Fenster schaute, ließ die untere Körperhälfte in die Tiefe gleiten und klammerte sich gleichzeitig mit beiden Händen am unteren querlaufenden Fensterholm fest. Langsam glitten ihre Hände ab, während sie gleichzeitig mit den Fußspitzen Halt suchte.
Sie fand keinen.
Panik flackerte in ihr hoch. Sie konnte das Gewicht nicht mehr halten, zu kraftlos waren die Finger. Da schob sich ihr linker Fuß in einen Spalt.
Und der rechte fand auch Halt.
Madelaine atmete auf.
Dann schob sie ihren rechten Fuß aus dem Spalt und ging etwas tiefer. Sie hatte, als sie zuvor aus dem Fenster schaute, einen Sims entdeckt, der wie für sie geschaffen entlang der Wand lief.
Und den wollte sie erreichen.
Der Schweiß lief ihr in Strömen über das Gesicht. Schnell und unregelmäßig ging ihr Atem. Sie war körperliche Anstrengung nicht gewohnt und setzte all ihre Kraft ein.
Da erreichte sie mit dem rechten Fuß den Sims. Er paßte sogar in seiner vollen
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