0070 - Die Teufelsbraut
»Moment, Zsa Zsa.«
»Ja, John?«
»Wieso weiß Kommissar Calamasse nichts von Tarantoga?«
»Ich habe mit ihm nicht darüber gesprochen.«
»Warum nicht?«
»Ich war der Auffassung, daß er mit diesem Wissen nichts anfangen könnte. Sie hingegen halte ich für würdig, informiert zu werden.«
»Oh, vielen Dank.«
»Gehen wir nun?«
»Ich muß nur noch rasch meinem Partner Bescheid sagen.«
»Also, wenn Sie die Absicht haben, den Chinesen mitzunehmen…« Zsa Zsa brach ab. Was sie gesagt hatte, hatte enttäuscht geklungen. Sie wollte mit mir allein sein. Ich hielt sie für eine von diesen Emanzen, die die Initiative an sich reißen, wenn ihnen ein Mann gefällt.
»Keine Sorge«, erwiderte ich lächelnd. »Suko wird nicht mitkommen.«
Darüber war Zsa Zsa sichtlich erfreut. Ich begab mich zu meinem Freund und sagte ihm, was ich vorhatte.
Suko grinste. »Junge, sieh dich vor. Es heißt, daß die Ungarinnen scharf wie Paprika sind. Wenn sie dich vernascht, bin ich verpflichtet, Jane Collins davon in Kenntnis zu setzen.«
Mit gespieltem Ernst sagte ich: »Und so etwas nennt sich Freund. Pfui Teufel.«
»Ich bin schließlich auch Janes Freund.«
»Pharisäer«, sagte ich und kehrte zu Zsa Zsa zurück. Suko wußte, daß ich mich im Hause der Ungarin wie ein Gentleman verhalten würde. Jane konnte mir vertrauen. Auch dann, wenn uns Tausende Meilen trennten.
Wir überquerten die Straße.
Ich stieg zu der Reporterin in den Wagen.
Zsa Zsa wendete.
Die Fahrt dauerte nicht länger als fünf Minuten. Das Haus der Ungarin war klein. Es war im Bungalowstil errichtet und lag am Stadtrand von Rio.
Im Living-room fühlte ich mich auf Anhieb wohl. Ich nahm in einem weichen Sessel Platz, als Zsa Zsa mich dazu aufforderte.
Sie fragte mich, was ich trinken wollte. Ich entschied mich für einen kleinen Scotch mit viel Eis und noch mehr Soda.
Zsa Zsa mixte sich einen Martini. Sie setzte sich auf die Couch mir gegenüber, und es blieb nicht aus, daß wir über sie und ihre kurze Vergangenheit sprachen.
Ihren Eltern war vor fünfzehn Jahren die Flucht aus Ungarn geglückt. Brasilien war das Ziel der Emigranten gewesen. Als Zsa Zsa achtzehn geworden war, waren ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen…
Ich ertappte mich dabei, daß ich dem Mädchen kaum zuhörte. Meine Gedanken schweiften ab. Mich interessierte Zsa Zsas Lebenslauf nicht.
Jedenfalls nicht jetzt. An einem anderen Tag, zu einer anderen Stunde, hätte ich ihm gewiß mehr Interesse entgegengebracht.
Doch im Augenblick beschäftigte mich nur eines: Tarantoga – der Dämon von Rio!
Zsa Zsa bemerkte schon bald, daß sie zuviel über sich redete. Lächelnd entschuldigte sie sich deswegen.
»Sie sind nicht hier, um meine Lebensgeschichte zu hören, sondern weil Sie mehr über Tarantoga erfahren wollen.«
Ich nickte.
Hinter der Ungarin hing eine alte Streitaxt an der Wand. Ein äußerst dekoratives Stück. Sicherlich sehr wertvoll.
»Also«, begann Zsa Zsa. Sie nippte kurz an ihrem Martini. »Im Norden von Rio de Janeiro gibt es einen Friedhof. Davor ragt eine Dämonenmauer auf. In ihr soll der Geist von Tarantoga wohnen. Viele Menschen suchen diese unheimliche Stätte täglich auf. Sie überwinden ihre große Angst, um dem Dämon ihre Opfergaben zu überbringen, die ihn friedlich stimmen sollen. Tarantoga kann sehr grausam sein…«
»Jeder Dämon ist grausam«, sagte ich. Ich wußte, wovon ich sprach.
»Tarantoga hat sich hier in Rio um die Hölle verdient gemacht. Man sagt, daß seine aufsehenerregenden Taten dem Fürsten der Finsternis gefallen haben. Nun hat der Höllenfürst beschlossen, Tarantoga mit höheren Aufgaben zu betrauen. Das bedeutet: er wird Tarantoga aus Rio abziehen. Sein Platz wird frei…«
»Wer bekommt ihn? Wer wird an Tarantogas Stelle treten?«
»Derjenige, der sich diesen Platz mit sieben Seelen erkauft«, antwortete Zsa Zsa auf meine Frage.
Jetzt wurde mir vieles klar. Der Mörder, den ich zur Strecke bringen sollte, widmete die Seelen seiner Opfer Tarantoga, dessen Nachfolger er werden wollte.
Sechs Seelen hatte sich der Unhold bereits geholt. Es fehlte ihm nur noch eine. Dann konnte er die Herrschaft über das Böse von Rio antreten.
Ein Mord fehlte noch.
Wann würde der Unbekannte ihn begehen? Noch in dieser Nacht? Bisher hatte der Mörder noch nie zweimal in einer Nacht zugeschlagen. Aber war das eine Regel, an die er sich halten würde?
Zsa Zsa hatte mir die Augen geöffnet. Ich war ihr dankbar dafür.
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