0070 - Ich, der Tod und 100 Dollar
etliche Stockwerke, und dann stand ich in einem behaglichen Wohnzimmer vor dem Ersten Offizier. Er war gut einen Kopf größer als ich.
»Guten Abend«, sagte ich höflich. »Würden Sie bitte meinen Ausweis ansehen?«
Er achtete gar nicht auf meine Karte, die ich gezückt hatte.
»Wie war das Wetter?«, fragte er.
»Hm, ganz gut. Laue Nacht, nicht wahr?«
Ein Lächeln glitt über sein kantiges Gesicht.
»So was Ähnliches sagten vorhin auch die New Yorker am Funk. Ich denke, Sie haben heute Nacht nichts mehr vor, wie? Oder wollen sie unser rauschendes Bordfest mitmachen?«
»Um Himmelwillen…«, wehrte ich ab.
Er nickte.
»Habe ich mir gedacht. Sie können meine Koje haben bis morgen früh. Ich muss sowieso aufpassen, dass keiner das Schiff klaut!«
Ich lachte.
»Geht in Ordnung.«
Er stakte zur Tür und bückte sich, um hindurchzukommen.
»Wenn Sie etwas wünschen, läuten Sie nach dem Steward. Wir bieten auch bei kurzen Reisen jeden Komfort. Ich wecke Sie morgen früh! Bye, bye!«
***
Es ist für einen New Yorker, der immer in dieser Stadt lebt, ein merkwürdiges Gefühl, die berühmte Skyline seiner Stadt unvermutet einmal von der Seeseite her zu sehen.
Ich stand an der Reling, als sich die United States langsam an Ellis Island vorbeibewegte und bei aufgehender Sonne zu ihrem Liegeplatz im Erie Basin gezogen wurde. Es war ein herrliches Bild. Ein paar Frachter, die auf die Reise gingen, fahren an uns vorüber auf die Narrows zu, ein Schnellboot der Flotte kam aus dem Navy Yard und schoss mit hoch aufschäumender Bugwelle heran und verschwand in Richtung auf Staten Island.
»Froh, wieder zu Hause zu sein?«, sprach mich der Erste Offizier an, laut genug, dass es die Umstehenden hören konnten.
Ich nickte lebhaft.
»So oft man wiederkommt - es ist immer ein imponierendes Schauspiel, nicht wahr?«
»Na ja, ich bin’s gewöhnt. Aber hübsch ist es in der Tat.«
Er winkte mir zu und spazierte davon. Die Trossen flogen hinüber zum Kai, an Bord wuchs die Aufregung, und man versuchte schon die Freunde und Verwandten an Land, zu erkennen. Tücher wurden geschwenkt, alles drängte zur Gangway, die sich nun hinübersenkte, aber noch war der Weg nicht freigegeben. Ein Rudel von Zollbeamten drängte sich heran und besetzte das Schiff wie bei einem Kaperu nternehmen.
Ich stieg hinauf aufs Oberdeck und versuchte herauszukriegen, ob Phil Deckers Kahn schon eingelaufen sei, konnte aber die vielen Schiffe an den Kais nicht voneinander unterscheiden. So nahm ich meine Reisetasche und ging geraden Weges auf die Beamten zu, die noch immer den Weg an Land gesperrt hielten. Hier wartete ich, bis die ersten Passagiere von Bord gehen durften. Würdige Männer aus der ersten Klasse, teilweise mit ihren imponierenden Gemahlinnen… dann schlenderte ich hinzu.
»Sind Sie schon abgefertigt?«, fragte ein bärbeißiger Zöllner. »Darf ich Ihren Pass sehen?«
Er stand wie ein Fels inmitten der Gangway. Ich zog meinen FBI-Ausweis hervor und hielt ihm den unter die Nase. Er studierte ihn sorgfältig, und als er an das kleingedruckte Kapitel mit den Empfehlungen für US-Bundesbeamte kam, stand er auf einmal stramm und machte eine Wendung, sodass für mich der Weg frei wurde.
»Menschenskind«, raunte ich ärgerlich, »ich bin doch kein General!«
Hinter mir drängte eine neue Woge von Passagieren heran, und ich ließ mich die Gangway hinuntertreiben, bis ich festen Boden unter den Füßen hatte.
Ich blickte mich neugierig um. Wie überall in der Welt, wo es Häfen gibt, war ich umlagert von Menschen, die mir irgendetwas verkaufen wollten, Stadtpläne, Zeitungen, Hot Dogs, Ansichts- und sonstige Postkarten und wer weiß was.
Ich wandte mich an einen Bediensteten der Schifffahrtsgesellschaft, der an der Gangway stand, und fragte ihn nicht allzu leise: »Sagen Sie, wo gibt es hier eine Wechselstube?«
Er wies mich zu einem Gebäude in geringer Entfernung, wo überdies das Schild der Bank in drei Sprachen leuchtete.
»Thanks«, gab ich zurück und setzte mich in Bewegung.
Jetzt galt es, aufmerksam zu sein. Wenn sich jemand an mich heranmachen wollte, dann war jetzt fast die einzige . Gelegenheit dazu. Dabei hütete ich mich wohl, die Augen allzu lebhaft umhergehen zu lassen. Ich war ein Passagier der United States und soeben erst hier angekommen, nur von dem Wunsch beseelt, mein Geld so schnell wie möglich in die Wechselstube zu tragen.
»Entschuldigung«, sprach mich jemand an. Ich hatte noch knapp zehn Meter bis
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