0071 - Panik in der Geisterhöhle
nicht anmerken lassen, aber sie hatte Angst. Die Ruhe hier in diesem Zimmer kam ihr vor wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm, einem Sturm, der jederzeit losbrechen konnte.
Schlafen – das schien ihr noch die beste Lösung zu sein. Schlafen, an nichts mehr denken, für kurze Zeit alles vergessen…
Sie zögerte nicht, den Gedanken sogleich in die Tat umzusetzen.
Abgesehen von dem seelischen Druck, der auf ihr lastete, war sie auch körperlich ziemlich fertig. Man konnte Anstrengungen und Aufregungen nur bis zu einer bestimmten Grenze ertragen.
Da sie ihr Gepäck in Ierapetra gelassen hatten – eine Übernachtung auf Tilos war ursprünglich gar nicht vorgesehen gewesen – standen ihr keine Kleider zum Wechseln zur Verfügung.
Sie verzichtete auch darauf, sich auszuziehen. Die Bettwäsche reizte nicht dazu, sie mit der nackten Haut in Berührung zu bringen. So wie sie war, warf sie sich auf die muffig riechende Decke. Schnell schlief sie ein.
Bald darauf schreckte sie wieder hoch. Ein kurzer Blick auf ihre Armbanduhr, die das unfreiwillige Meeresbad zum Glück heil überstanden hatte, sagte ihr, daß nicht einmal eine halbe Stunde vergangen war.
Was hatte sie aufgeweckt?
Geräusche an der Tür. Jemand hatte angeklopft, tat es jetzt erneut.
»Ja?« rief sie. »Wer ist da?«
Ihre stille Hoffnung, daß Zamorra schon zurück war, erfüllte sich nicht. Ein Redeschwall in griechischer Sprache schlug ihr durch das Holz entgegen.
Sie verstand kein Wort, glaubte aber nicht, sich zu irren, wenn sie den Mann dort draußen für Nirakis hielt. Der Klang der Stimme kam ihr jedenfalls bekannt vor.
Krampfhaft durchsuchte sie das kleine Kästchen ihrer griechischen Sprachkenntnisse. Der Begriff »Ich kann Sie nicht verstehen« befand sich jedoch nicht darin. So beschränkte sie sich auf das universelle »Non capito!«
»Do you speak English?« fragte der Mann vor der Tür.
Das war natürlich auch eine Möglichkeit.
»Yes!« antwortete sie.
»Wonderful!« hörte sie. Und dann fuhr der andere in gut verständlichem Englisch fort: »Miß, ich habe hier etwas für Sie. Einen Ventilator.«
»Vielen Dank, aber ich benötige keinen Ventilator.«
Nirakis, sie war sich jetzt ganz sicher, daß er es war, blieb hartnäckig.
»Die Luft im Zimmer ist stickig«, sagte er. »Auch die Nächte auf Tilos sind schwül und warm. So ein Ventilator ist da unentbehrlich.«
Lag dem Wirt wirklich am Wohlbefinden seiner Gäste? Nicole glaubte nicht daran. Bisher hatte sie den Eindruck gehabt, daß er sie lieber tot als lebendig gesehen hätte.
Sie wollte abermals ablehnen, überlegte es sich dann aber doch anders. Es war schwül und stickig im Zimmer.
»O.k. stellen Sie das Ding vor die Tür«, sagte sie.
»Sie werden allein nicht damit zurechtkommen. Es ist ein sehr alter Ventilator.«
Nicoles Mißtrauen wuchs. Diese Beharrlichkeit gab ihr zu denken.
»Stellen Sie ihn ruhig hin. Ich komme ganz bestimmt damit klar.«
Nirakis lachte plötzlich auf. »Sie trauen mir nicht, Miß! Ist es das? Befürchten Sie, daß ich Ihnen etwas tun will?«
»Wenn ich so denken würde – wäre das sehr verwunderlich?«
Wieder lachte er. »In Ordnung, Miß! Ich stelle ihn hin. Schlafen Sie gut.«
Ein leichtes Poltern klang auf. Es hörte sich wirklich so an, als habe jemand einen Gegenstand auf den Fußboden gesetzt. Anschließend entfernten sich Schritte.
Nicole wartete. Eine Minute, zwei Minuten. Draußen blieb alles ruhig. Schließlich kam sie sich doch etwas albern vor. Mochte Nirakis auch ein zwielichtiger, übler Bursche sein. Die Gastfreundlichkeit sollte den Südländern ja angeblich im Blut liegen. Wahrscheinlich hatte er ihr doch nur einen Ventilator bringen wollen.
Sie erhob sich vom Bett und ging zur Tür. Sicherheitshalber legte sie zuerst einmal das Ohr an das Holz. Noch immer kein Grund zur Besorgnis. Die Töne, die sie vernehmen konnte, kamen eindeutig von unten aus dem Gastraum.
Lautlos drehte sie den Schlüssel nach links. Sie öffnete. Zuerst drückte sie die Tür nur spaltbreit auf. Dann, sich selbst eine überängstliche Närrin schimpfend, machte sie ganz auf.
Unwillkürlich mußte sie lächeln, denn da stand der Ventilator.
Keine zwei Meter entfernt. Und es war wirklich ein altes Ding, bei dem die Gefahr, einen Schlag zu bekommen, wahrscheinlich tatsächlich recht groß war.
Na also, sagte sie zu sich selbst. Sie trat aus dem Zimmer hinaus und bückte sich nach dem Frischluftspender aus der Zeit des alten
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