0074 - Das Grauen
würde er ein wenig schlafen.
Gonzales Ramirez, der dünne, freundliche Junge aus Mexiko, von dem man auf der Akademie behauptete, daß ihm die Mädchen nur so zuflogen, streckte sich aus und schloß die Augen.
Plötzlich vernahm er, wie die Tür geöffnet wurde! Er hörte es deutlich und bewußt - sein Körper spannte sich. Trotzdem hielt er die Augen geschlossen und versuchte, sich einzureden, daß er sich getäuscht hatte. Gerade hatte er aus der Kabine geblickt und niemand entdecken können. Er mußte nur die Augen weiter fest zudrücken und daran glauben, daß er sich geirrt hatte. Es gab keine andere Möglichkeit, wenn er nicht an seinem Geisteszustand zweifeln wollte. Er bewegte sich unruhig. Hartnäckig bemühte er sich, seine Gedanken wieder auf seine Heimat zu lenken: Glühendheißer Sand, das Schreien von Kindern und der Gluthauch des Windes, der über die Berge kam. Die Stimme seiner Mutter, die ihn zur Anständigkeit ermahnte, und das Poltern des Vaters, der in der Abendsonne vor dem Haus auf der Veranda zu sitzen pflegte.
Er hörte, wie die Tür zugemacht wurde.
Mit einem Entsetzensschrei öffnete er die Augen. Sein Puls raste. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Er zitterte heftig. Seine Zunge fuhr über spröde Lippen. Nichts war zu sehen, die Kabine war leer.
Hastig entstieg er dem Bett und schlüpfte in seine Jacke. Es bestand kein Zweifel daran, daß er auf dem besten Wege war, dem Wahnsinn zu verfallen. Wie Finney! Finney? War es möglich, daß zwei gesunde, normale Männer zur gleichen Zeit mit ähnlichen Symptomen wahnsinnig wurden? Ramirez, der sich gerade zu Dr. Morton begeben wollte, brach sein Vorhaben wieder ab. Irgend jemand hatte sich einen Scherz mit ihm erlaubt.
Sie glaubten, einen unerfahrenen Kadetten vor sich zu haben, dem man mühelos Angst einjagen konnte. Er wußte, wie gern die abgebrühten Raumfahrer Anfänger auf den Arm nahmen. Sie warteten nur darauf, daß er jetzt zu Dr. Morton rannte, um sich angsterfüllt einer Untersuchung zu unterziehen. Finneys grandioses Schauspiel war ein Teil des Schabernacks, an dem anscheinend sogar der Kommandant beteiligt war.
So leicht würden sie ihn nicht hereinlegen. Beruhigt kehrte er zum Bett zurück. Sicher würden sie es erneut versuchen.
Er mußte nicht lange warten, bis er das sanfte Klicken des Schlosses abermals wahrnahm. Am besten, er stellte sich taub, entschied Ramirez. Es würde ihren Übermut dämpfen, wenn er hier in aller Ruhe schlief, während diese Schlauberger sich bemühten, ihm Furcht einzujagen.
Mit einem Ruck wurde die Tür geschlossen. Nur mit Mühe unterdrückte der Kadett ein Grinsen. Lässig stützte er sich auf das Kopfkissen. Mit grollender Stimme sagte er: „Buuuuuuuuhhhh!" Dann öffnete er die Augen. Aber es war schon zu spät.
*
Colonel Marcus Everson hangelte sich am Geländer zur Zentrale empor. Die Kaulquappe befand sich kurz vor ihrer ersten Transition. Völlig zerzaust huschte Scoobey zwischen den elektrischen Rechengeräten umher, um die Koordinaten ständig zu überprüfen.
„Alles vorbereitet, Sir", rief er Everson entgegen.
„Eigenfrequenz-Absorber jetzt einschalten", befahl Everson.
Dieses hochwertige Gerät verhinderte, daß fremde Stationen die Transition von Raumschiffen anmessen konnten. Das genaue Gegenstück war der Strukturtaster, der es ermöglichte, den genauen Stand eines Schiffes beim Austreten aus dem Hyperraum festzustellen.
„Eigenfrequenz-Absorber läuft", rief Fashong, ein kleiner, chinesischer Astronaut, mit kehliger Stimme.
Everson wuchtete sich in seinen Sessel. Der Ausleger schwang herum. Die Hydraulik, die die Teleskopstangen des Sessels bewegte, zischte leise. Die gesamten Anlagen des Schiffes erwachten zum Leben.
„Funkanlagen stillegen", kam Eversons Befehl.
„Telekomfunk stillgelegt", erfolgte die Bestätigung Maria Landis, des Ersten Funkers.
„Bordfunk stillgelegt", schloß sich Ralf Zimmermann an.
Die nächsten Minuten verstrichen, während Everson seine Befehle erteilte und sich ihre Ausführung bestätigen ließ. Scoobey ließ den Ausleger seines Sitzes zu Everson schwingen.
„Ramirez ist überfällig", flüsterte er ihm zu.
Everson musterte die anwesenden Männer. Natürlich hatte der Kadett während des Sprunges keine besondere Aufgabe zu erfüllen, aber seine Anwesenheit war unerläßlich. Er mußte Erfahrungen sammeln, um später selbst Raumschiffe sicher durch das All zu steuern.
„Diese Disziplinlosigkeit wird er zu
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