0077 - Das Phantom der Insel
gepackt und reisten ab.
Eine dämonische Erscheinung, an deren Existenz so wenig zu zweifeln war, wie an der eigenen, gab den Menschen ein nie gekanntes Gefühl von Grausen und Furcht.
Lo Sardo aber blieb unbehelligt, und niemand ahnte, in welcher Gestalt er sich gerade bewegte. Und noch weniger wußte man, wo er sich jeweils aufhielt.
Er kam unerwartet, wie der Pononte, der starke Wind, der herrische Sturm, der mitten an einem sonnigen Tag sich vom Westen her über die Insel hermachte. Ein Wind, der die Bäume in der Nähe des Ufers so stark bog, daß sie sich alle nach Osten neigten.
So, wie dieser Wind kam der Unbekannte, der große Rächer Lo Sardo.
Es gab Menschen im Inneren des Landes, die wußten genau, wenn Lo Sardo unterwegs war.
Das war immer dann, wenn selbst von den Wildkatzen tagsüber nichts mehr zu sehen war, die es noch so zahlreich gab.
»Wenn die Katzen nicht fauchen und streunen, ist Lo Sardo unterwegs.« Das gehörte zum Wissen der Menschen um die ureigenen, uralten Dinge und Geheimnisse der Insel.
Und so war auch Zamorra nicht verwundert, als er diese Worte aus dem Mund der Schwester von Marun Cofales hörte.
Ein Beamter hatte ihn und Nicole Duval ins Dorf hinausgefahren.
Gastfreundlich, wie die einfachen Menschen hier waren, machte sich die Frau sogleich daran, vom besten auf den Tisch zu stellen, das sie im Hause hatte.
Als der Hauptgang, eine prächtige Fischsuppe nach einem uralten Hausrezept, auf dem Tische stand, glaubte vor allem Nicole Duval, eine Spezialität aus einem First Class Hotel zu genießen.
Professor Zamorra konnte ihren Appetit nicht teilen.
Er war hier, um von der Frau ein paar Einzelheiten zu erfahren.
***
Maruns Schwester wollte auch den Fahrer des Polizei-Jeeps zum Essen einladen. Aber dieser wehrte dankend ab.
»Ich muß dringend zurück zum Dienst«, sagte er. »Ich darf Sie gegen abend abholen, Professore.«
»Gut«, meinte Zamorra. »Es sind ja nur wenige Minuten Fahrt, und ich nehme das Angebot an. Außerdem möchte ich Sie bitten, mein Gepäck inzwischen ins Hotel Splendido bringen zu lassen. Wir haben dort zwei Zimmer gebucht, und schließlich soll das Gepäck nicht zu lange im Büro des Kommissars stehenbleiben.«
»Das wird erledigt, Signore«, sagte der Beamte.
»Und wird es möglich sein, einen Wagen zu mieten?« fragte Zamorra.
»Das ist nicht ganz leicht, aber immerhin gibt es ein paar Amerikaner, die sich ab und zu einen Wagen leihen. Ich glaube, ich werde jemand ausfindig machen.«
Damit verabschiedete sich der Beamte, und die übrigen begannen mit dem Essen.
Nur stockend kam ein Gespräch in Gang. Maruns Schwester war noch zu tief in ihrem Schock über den Tod des Bruders befangen.
Aber sie schöpfte neue Hoffnung, als Zamorra ihr von seinen erfolgreichen Abenteuern mit ähnlichen dämonischen Wesen wie Lo Sardo berichtete.
»Jeder kennt ihn«, sagte die Frau. »Und keiner weiß, wo er wohnt.«
»Er ist ein Mensch?« fragte Nicole Duval.
Da schüttelte die Frau den Kopf.
»Kein Mensch und kein Tier und kein Teufel. Von allem ein Stück. Aber er weiß und kann mehr als ein Mensch.«
»Ich habe in den Zeitungen von Paris über die anderen Fälle gelesen«, fuhr der Professor fort. »Mich interessiert wie weit die einzelnen Orte auseinanderliegen. Kann man sie besichtigen?«
Die Frau nickte.
»Zweimal im Norden oben, am Rande der Wälder von Nurr«, sagte sie leise. »Vor der großen Stadt drüben.«
Zamorra dachte nach.
»Sie meinen die Stadt Sassari, nicht wahr?«
Wieder ein kurzes Kopfnicken.
»Und die übrigen Male?« fragte Zamorra weiter.
»Viel weiter unten im Süden, in der großen Bucht. Und fast gleich nach dem ersten Fall. Lo Sardo ist mächtig. Er muß durch die Luft fliegen können. Er ist schneller als jeder Mensch.«
»Wie heißt die große Bucht, Signora?«
»Es ist der Golf von Oristanao«, war die Antwort.
»Und alle Opfer des Unbekannten waren Spanier, oder Nachkommen von Spaniern, soviel ich weiß?«
»Ja«, bestätigte die Frau.
»Dann habe ich noch zwei Fragen, Signorina.«
»Bitte, Signor.«
»Erstens: kann ich die Stelle besichtigen, wo Lo Sardo Ihren Bruder überfallen hat? Und zweitens: gibt es einen ortskundigen und furchtlosen Menschen, der mir gegebenenfalls als Führer dienen könnte? Er soll es natürlich nicht umsonst machen.«
»Fragen Sie nach Capo Caccia«, murmelte die Frau fast unverständlich. »Und dann fragen Sie nach der Neptunsgrotte. Ich kann Ihnen die Stelle selbst nicht
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