0078 - Der Todeszug
Schale mit Gebäck auf den Tisch.
Dann ließ sie uns allein. Da der Leutnant uns hergeschickt hatte, vertraute sie uns.
Die alte Donna Clara war sehr angetan davon, Besuch von einem Oberinspektor von New Scotland Yard zu haben. Sie hatte von dem Spuk und der Höllenhand gehört, die ganze Gegend redete davon.
»Ich bete fleißig den Rosenkranz, damit dieser Schrecken bald ein Ende findet«, ließ sie uns von dem jungen Carabiniere übersetzen. »Was möchten Sie denn von mir wissen, Signori?«
Wir fragten nach den Frascatis. Die Alte taute noch mehr auf, denn sie liebte es, von vergangenen Zeiten zu sprechen. Die Frascatis waren sehr lange in der Gegend ansässig und angesehene Leute gewesen. Sie hatten ein großes Gut in der Nähe von Celano gehabt.
»Ich weiß genau Bescheid«, erzählte Donna Clara, »denn meine Mutter arbeitete als Dienstmädchen für die Frascatis. Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit auf dem Gut verbracht. Ich erinnere mich noch genau an den alten Don Aldo Frascati und an seine vier Söhne. Wenn die Söhne noch leben, dann wären sie jetzt etwa in meinem Alter.«
Aldo Frascati hatte eine liebenswerte Frau und vier gesunde, kräftige Söhne. Er war ein angesehener und umgänglicher Mann, neigte allerdings zum Starrsinn und hing mit Leib und Seele an seinem Land.
Eher hätte er sich einen rostigen Nagel durch die Kniescheibe treiben lassen, als etwa einen Hektar Grund und Boden aufzugeben. Um 1910 faßte die italienische Regierung den Entschluß, die Eisenbahnlinie Rom Pescara zu bauen.
Quer durch die Abruzzen und mitten durch das Land von Aldo Frascati sollten die Schienen verlaufen. Frascati tobte, als er davon hörte, auf keinen Fall wollte er auch nur einen Meter Boden abgeben.
Von der Eisenbahn versprach er sich nichts Gutes. Die brachte nur Lärm, Dreck und Gestank. Der Rauch verdarb ihm die Qualität seiner Wiesen und vergiftete das Vieh auf der Weide. Davon war Aldo Frascati überzeugt.
Er strengte einen Prozeß gegen das Regierungsprojekt an, verlor in der ersten Instanz und stürzte sich gleich in die nächste. Er bezahlte eine Schar von Anwälten und Sachverständigen aus eigener Tasche und begriff nicht, daß er auf verlorenem Posten kämpfte.
Die Landvermesser jagte er mit dem Gewehr davon. Dafür wurde er ein paar Wochen ins Gefängnis gesteckt. Aber sowie man ihn entließ, bezog er wieder seine alte, starre Haltung. Er verlor auch in der zweiten Instanz. Als der Gleisbautrupp anrückte, stellte er sich ihm mit dem Gewehr entgegen, von seinem ältesten Sohn unterstützt, und verwundete zwei Arbeiter.
Dafür erhielt er drei Jahre Gefängnis.
Inzwischen war Italien auf der Seite der Entente in den Ersten Weltkrieg eingetreten. Frascatis Söhne mußten einrücken. Zwei Söhne Frascatis starben im Krieg. Der dritte stürzte an einem Steilhang des Gran Sasso tödlich ab.
Frascatis Frau wurde aus lauter Gram und Verzweiflung schwerkrank. Sie brauchte Pflege, hohe Arztkosten fielen an. Fast den gesamten Grundbesitz hatten bereits die Prozeßkosten und das Heer der Advokaten verschlungen.
Eine hohe Geldbuße hatte Frascati außer seiner Haftstrafe auch noch bezahlen müssen. Sein einziger noch lebender Sohn, der Jüngste, war im Feld, und ein betrügerischer Verwalter wirtschaftete in die eigene Tasche und den Rest des Gutes noch weiter herunter.
Als Frascati aus der Haft entlassen wurde, war seine Lage katastrophal. Die Schicksalsschläge rissen nicht ab. Seine Frau starb. Der letzte Sohn kehrte mit einer Kugel in der Lunge aus dem Krieg zurück.
Er war nun weder körperlich noch charakterlich der Mann, das Schicksal zu wenden und Ansehen und Reichtum der Frascatis wiederherzustellen.
»Aldo Frascati war verbittert und gebrochen«, erzählte die alte Donna Clara. »An seinem jüngsten Sohn hatte er keine Stütze. Er schimpfte oft auf die Advokaten und Rechtsverdreher, die sich auf seine Kosten bei den Prozessen gesundgestoßen hatten. Wehe dem, der unter die Advokaten fällt, pflegte er zu sagen!«
Die alte Dame fuhr fort: »Am meisten aber haßte er die Eisenbahn. Der Bahn und ihren Mitarbeitern gab er die Hauptschuld an seinem Los. Er wollte nicht einsehen, daß er selber durch seinen Starrsinn einen großen Teil seines Unglücks verursacht hatte. Ohne die Eisenbahn wäre alles anders gekommen, das bildete er sich ein. Aldo Frascati wurde wunderlich. Die Eisenbahn war für ihn der Erzfeind und so etwas wie ein lebendes Wesen, ein böser Dämon. Bis spät in die
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