0078 - Die Straße zum Schafott
gemacht, als bei mir das Telefon klingelte. Ich hob ab und sagte: »Cotton.«
»Hier ist Lieutenant Anderson. Hallo, Cotton.«
»Hallo, Anderson. Was haben Sie auf dem Herzen?«
»Eine persönliche Frage.«
»Schießen Sie los!«
»Sind Sie noch immer an dem Fall Corren interessiert?«
Ich schluckte.
»Haben Sie etwas Neues in dem Fall, Anderson? Mann, kommen Sie her! Oder sagen Sie mir, wo ich hinkommen soll! Was ist denn?«
»Nur ein vager Verdacht! Ich traf heute Abend Stringer. Das ist einer unserer farbigen Kollegen. Er sitzt als Lieutenant der Kriminalabteilung im Revier in Harlem. Bei der Dienstbesprechung heute Abend traf ich zufällig mit ihm zusammen. Er sprach mich sofort wegen der Corren-Sache an. Ich glaube er kann Ihnen eine interessante Geschichte erzählen, Cotton!«
»Okay, wo kann ich ihn treffen?«
»Die Dienstbesprechung dauert noch an. Wir rätseln über dem Banküberfall vor sechs Tagen. Es kann noch eine Weile dauern. Aber hinterher will Stringer gern mit Ihnen sprechen.«
»Okay. Ich bin zu Hause. Er soll zu mir kommen! Ganz egal, wie spät es wird. Ich warte. Wenn ich auf der Couch einschlafen sollte, hilft ein kräftiges Klingeln, sagen Sie ihm das! Er soll auf jeden Fall kommen!«
»Geht in Ordnung, Cotton. So long!«
»So long, Anderson. Vielen Dank für den Anruf! Ich mach’s bei Gelegenheit gut!«
Ich steckte mir eine Zigarette an und sah auf die Uhr. Neun Uhr dreißig. Bis zu Correns Hinrichtung waren es noch ganze vierundfünfzig Stunden…
***
Ich wartete bis elf Uhr. Je länger ich herumsaß, desto aufgeregter wurde ich. Tatenlos auf eine Sache warten, das war noch nie etwas für mich.
Anderson hatte etwas von einem Lieutenant Stringer erzählt, der in Harlem in einem Revier Dienst tat. Was mochte dieser Stringer zur Sache Corren in Erfahrung gebracht haben? Dass er etwas wissen konnte, brachte allein schon seine Stellung mit sich. Er saß nicht im Hauptquartier weit vom Tatort, sondern er saß im Revier in Harlem. Die Morde waren in Harlem passiert.
Ich selbst war meiner Sache nur in einem Punkt sicher. Corren war niemals der Doppelmörder. Ich habe Erfahrung mit Mördern aus allen Schichten der Bevölkerung und in allen erdenklichen Variationen. Correns Leben war so friedlich verlaufen bis zu jenem Abend, er war ein von Natur aus so friedliebender Bursche, dass es einfach nichts gab, weswegen ein Kerl wie er zum Colt gegriffen hätte, um zwei Männer zu erschießen.
Aber so sehr ich meiner Sache in diesem Punkt sicher war, so wenig konnte ihm das nützen. Gerichte geben gar nichts auf die private Überzeugung eines G-man. Sie können nichts darauf geben, denn vor Gericht haben nicht Gefühle, sondern nackte, nachprüfbare, objektive Tatsachen zu herrschen.
Die aber sprachen gegen Corren. In erster Linie natürlich sein eigenes, falsches Geständnis.
Ich hatte mir gerade die halbvolle Whiskyflasche aus dem Eisschrank geholt und ein paar Eiswürfel bereitgestellt, als es bei mir klingelte. Ich ging öffnen.
Anderson und ein Farbiger standen vor der Tür.
»Hallo, Cotton!«, grinste Anderson müde. »Das ist Lieutenant Stringer vom Harlem-Revier.«
»Hallo!« Ich lächelte beiden zu und bat sie einzutreten. Nach den ersten gezwungenen Minuten saßen wir uns in Sesseln gegenüber und vor jedem stand ein doppelter, eisgekühlter Whisky.
»Also, Stringer, schießen Sie los«, sagte Anderson. »Ich sehe schon, dass es Cotton nicht erwarten kann.«
Stringer nickte, stellte sein Glas zurück auf den Tisch und sagte mit der Sicherheit eines Mannes, der ein Problem von allen Seiten her gründlich durchdacht hat: »Die Nachforschungen sind im Falle Corren falsch geführt worden. Man fand einen Mann am Tatort, der unglücklicherweise die Mordwaffe in der Hand hielt, und man tat das, was in allen schlechten Kriminalromanen passiert: Man hielt ihn natürlich für den Mörder. Es ist traurig genug, dass sich bei uns so etwas wirklich ereignen kann. Man hätte, wie bei jeder Nachforschung, objektiv vorgehen sollen und nicht von dem Vorurteil, man brauche nur noch ein paar belastende Einzelheiten über den Mann zu sammeln, der so dumm war, geschlagene vier Minuten lang auf das Eintreffen der Polizei zu warten.«
»Wem sagen Sie das, Stringer?«, fragte ich. »Wir sind darin völlig einer Meinung. Aber das nützt weder uns noch dem armen Corren etwas. Wir brauchen Gegenbeweise.«
»Das ist klar. Ich wollte mit meiner Einleitung ja auch auf ein bestimmtes Gebiet zu
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