0082a - Amoklauf in der Todeszelle
Anspruches auf sonstige Vermögensvorteile unverzüglich verlustig gehe, die dennoch einen Mann eheliche.
Und genau an diesem Punkte setzte der gegenseitige Haß des Zwillingspaares ein. Die beiden Schwestern waren in ihrer Jugend durchaus keine unansehnlichen Geschöpfe, sondern waren im Gegenteil hübsch und von einer guten Statur gewesen. Da nun aber die eine, falls die andere heiraten würde, das ganze Vermögen des Vaters erben sollte, wartete eine geldgieriger als die andere darauf,- daß die Schwester den Fallstricken der Liebe erliegen möge. An Bewerbern, die sich den Teufel um Geld und Hinterlassenschaft scherten, hatte es anfangs denn auch bei allen beiden nicht gefehlt.
Aber hier zeigte sich der Charakter der Houstons. Obgleich den Annehmlichkeiten des Daseins keineswegs abhold, dachte doch keine daran, früher als die andere zu heiraten und der anderen damit zur Erbschaft eines beträchtlichen Dollarsegens zu verhelfen. Natürlich war jeweils die andere daran schuld, daß man die Erbschaft nicht längst gemacht hatte, ebenso natürlich zeigte man das nicht nach außen hin — immerhin gab es ja so etwas wie Pietät —, und schließlich und endlich bestand ja noch immer eine, wenn auch schwache, so doch heimlich genährte Hoffnung, bei der anderen könne sich die Sehnsucht nach einem nicht mehr einsamen Leben in einer späten Eheschließung erfüllen.
Aus diesem Grunde vergaßen sie nie, sich wöchentlich wenigstens einmal zu besuchen, um sich gegenseitig ein wenig auf den Zahn zu fühlen. In dieser Woche wäre Sarah an der Reihe gewesen, zu Nelly zu kommen.
Abends gegen sieben klingelte es endlich an Nellys Haustür.
»Meine Güte!« sagte Nelly kopfschüttelnd. »Jahrelang war es Sitte, sich zur Kaffeezeit zu besuchen. Aber diese unzuverlässige Person muß natürlich alle Regeln durchbrechen. Ich werde ihr von den Pralinen anbieten, die ich noch von Weihnachten herumliegen habe.«
Außerdem, schoß es Nelly durch den Kopf, könnte sie ihr den Kaffee besonders stark machen, starken Kaffee konnte Sarah schlecht vertragen.
Nelly ging also zur Tür und öffnete.
»Guten Tag, Miß Houston«, sagte Ben Coocher, der sechsundzwanzigjährige junge Pfarrer der Methodistenkirche, die im nächsten Dorfe lag, da Clickson über keine eigene Kirche verfügte.
»Oh, hallo!« stotterte Nelly verwirrt und band sich hastig die Küchenschürze ab, die sie ihrer Schwester zuliebe nicht abgelegt hatte.
»Kommen Sie doch herein!«
»Das ist sehr freundlich, Miß Houston. Vielen Dank.«
Sie führte den geistlichen Besuch ins Wohnzimmer. Nachdem man sich ein paar Minuten über das Wetter unterhalten hatte, brachte Nelly das Gespräch auf das einzige Thema, das seit vierundzwanzig Stunden landauf, landab die Gemüter bewegte:
»Haben Sie schon etwas von den Zuchthäuslern gehört? Hat man sie endlich wieder eingefangen?«
»Ich weiß es nicht genau, Miß Houston. Vor einer Stunde warnte man im Radio allerdings vor einem gewissen Morgory. Der Mann soll einen Waldaufseher nördlich von Brackstown überfallen und beraubt haben. Anscheinend ist er jetzt mit dem Jeep des Opfers unterwegs.«
Jetzt brachte sie auf einem Tablett das Teegeschirr herein und stellte alles zurecht.
Der Pfarrer kam zur Sache:
»Sie wissen doch, daß wir einen Kindergarten bauen wollen. Ein Teil des Geldes ist ja auch durch den Wohltätigkeitsbasar im vorigen Monat eingekommen. Aber mir fehlen immer noch etwa zweitausend Dollar. Und nun versuche ich, diesen Betrag von privater Hand hereinzubekommen. Sehen Sie, wenn jeder nur ein —«
Er brauchte gar nicht weiterzusprechen, denn Nelly Houston hatte bereits seine Sammelliste aufgeschlagen, die Zungenspitze vorgeschoben und suchte mit dem Nagel des Zeigefingers die Eintragungen ab.
»Hat meine Schwester nichts gegeben?« fragte sie hoffnungsfroh. In diesem Falle brauchte sie selbst nicht mehr als einen Dollar zu stiften und hatte trotzdem noch das Gefühl der moralischen Überlegenheit.
Aber ihre Hoffnung zerschlug sich. »Ich habe Ihre Schwester leider nicht angetroffen«, sagte der junge Priester, der sich bei der ganzen Sammelaktion ein wenig unglücklich fühlte, denn in derlei Dingen hatte er noch keine Erfahrung.
»Sie haben sie nicht angetroffen?« wiederholte Nelly verwundert.
»So ist es! Ich war zweimal schon da. Das erste Mal heute früh gegen halb elf und das zweite Mal vor knapp einer Stunde. Aber sie scheint heute früh, sehr früh schon das Haus verlassen zu haben.
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