0083 - Als die Knochenreiter kamen
war keine Rede mehr von einer Trennung zwischen Parandeh und Hamad. Die überwältigende Furcht und der Schrecken, der ihnen tief in die Glieder gefahren war, sagten ihnen, daß es vernünftiger war, beisammen zu bleiben. Diesmal hatte der Späher sie bloß angestarrt. Doch wer konnte ihnen garantieren, daß sie diesem unheimlichen Kerl nicht noch einmal begegnen würden? Und wer vermochte vorauszusagen, ob der Tatar sie beim zweitenmal nicht angreifen würde?
»Das… das war ein Spuk!« stieß Hamad krächzend hervor. Immer noch starrte er die Stelle an, wo der Mongole gestanden hatte. »Hast du das gesehen, Tehar? Ich habe auf den Kerl geschossen. Ich habe ihn getroffen. Aber er hat darüber nur gelacht. Verflucht nochmal, macht das Fieber mich jetzt langsam wahnsinnig? In Luft hat sich der verdammte Kerl aufgelöst. Vor meinen Augen. Hast du dasselbe gesehen wie ich, Tehar? Sag es mir. Hast du dasselbe gesehen?«
»Ja, Tabe«, sagte Parandeh mit heiserer Stimme.
»O Allah, das war ein Späher aus dem Geisterreich. Was sucht er hier im Elbursgebirge? Er war doch nicht etwa hinter uns her?«
Parandeh schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Was hatte er dann hier zu suchen?« fragte Hamad nervös.
»Du weißt doch, was drüben in Rußland geschehen ist.«
»Die Horden des Khan…«
»Ja«, sagte Parandeh mit finsterer Miene.
Hamad riß die fieberglänzenden Augen auf. »Der Himmel möge verhindern, daß diese berittenen Bestien ihren vernichtenden Zug über das Gebirge führen.«
»Sie haben ihren Späher nicht umsonst hierher gesandt«, sagte Parandeh nachdenklich.
Hamad schüttelte heftig den Kopf. »Du irrst dich, Tehar. Du irrst dich ganz bestimmt. Was wollen die Tataren im Gebirge? Hier gibt es nichts zu holen. Sieh dich doch um. Soweit das Auge reicht, karstige Felsen.«
»Es gibt irgendwo dort oben das Dorf, in dem Chana wohnt«, gab Parandeh zu bedenken.
Zuerst zuckte Hamad wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Doch dann fletschte er nervös grinsend die Zähne. »Ah, jetzt durchschaue ich dich. Du willst meine Panik schüren. Du versuchst mir Angst zu machen. Du möchtest auf einem Umweg erreichen, daß ich zur Umkehr einwillige, aber daraus wird nichts, Tehar. Schlag dir das ein für allemal aus dem Kopf. Nicht einmal die Horde des Khans wird mich daran hindern, zu Chana zu gehen.«
»Wird in diesem gottverlassenen Dorf ein Arzt sein?« fragte Parandeh.
Hamad winkte ab. »Ich brauche keinen Arzt.«.
»Dein Bein…«
»Mein Bein heilt von selbst. Man muß ihm dafür nur Zeit und Ruhe lassen. Beides wird es in Chanas Dorf in reichem Maße bekommen.« Hamad räusperte sich. Er schaute Parandeh voll in die Augen. »Tehar…«
»Ja?«
»Wir sollten die bösen Worte, die zwischen uns gefallen sind, vergessen, was meinst du?«
Parandeh nickte. »Einverstanden.«
»Wir sind beide ausgelaugt. Ich habe Schmerzen, daß ich die Felswände hochklettern könnte. Unsere Nerven sind von Hunger und Durst überreizt… Wir sollten uns von unseren Nerven nicht auseinanderbringen lassen. Wir haben diese Flucht gemeinsam begonnen, wir sollten sie auch gemeinsam beenden.«
Parandeh nickte wieder, sagte nichts.
»Komm«, meinte Hamad versöhnlich. »Hilf mir hoch. Wir müssen weiter.«
Parandeh zerrte den Komplicen auf dessen gesundes Bein.
Hamad sagte heiser. »Und mach dir wegen dieses Spuks keine Sorgen. Mit dem werden wir beide allemal noch fertig.«
***
Sie saßen in Klappsesseln. Bill Fleming und Zamorra rauchten eine von diesen persischen Zigaretten, die Nicole Duval abgelehnt hatte, weil der dunkle Tabak für sie einfach zu Stark war. »Diese gottverdammten Tataren!« sagte Bill mit zusammengezogenen Brauen.
»Anscheinend wollen sie ihr grausiges Reich noch einmal errichten – vom Indus bis zum Schwarzen Meer.«
Der Rauch schwebte zu Nicole. Das Mädchen hustete und wedelte mit der Hand.
»Entschuldige«, sagte Bill. Er nahm die Zigarette in die andere Hand, damit der Rauch Nicole nicht mehr belästigen konnte.
Nicole stützte sich auf den breiten Campingtisch mit der hitzebeständigen weißen Oberfläche. Sie schaute Zamorra an und sagte:
»Wieso suchen die Horden des Khan dieses Land ausgerechnet jetzt heim, Chef? Der grausame Mongolenführer hat von 1155 bis 1227 gelebt… Wenn schon Wiederkehr, warum nicht in einem der vergangenen Jahrhunderte?«
»Die Frage beschäftigt mich auch schon, seit ich von dem neuerlichen Mongolensturm gehört habe«, sagte
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