0085 - Der Feuergötze
gutes Stück zurücklagen.
Zamorra entlohnte den Verwegenen. Dann stiegen er und Nicole aus. Sofort bemächtigten sich zwei Livrierte ihres Gepäcks. Ein dienernder Türöffner lotste sie in die Hotelhalle.
Kurz darauf waren sie in ihrem Zimmer, das sie bereits von Frankreich aus bestellt hatten. ›Das‹ Zimmer stimmte nicht, denn es waren in Wirklichkeit zwei Zimmer, ein Wohnschlafraum und ein Vorraum. Beide sehr groß und komfortabel eingerichtet. Bar, Radio, Fernsehen, Klimaanlage, fast luxuriöse Möbel. Das Hotel Afrika bot etwas für sein Geld.
Kaum waren die beiden Kofferträger wieder draußen, als es Nicole vor Neugierde nicht mehr aushielt. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, ihre Frisur im Spiegel zu begutachten. Und das wollte bei ihr einiges heißen.
»Chef, du hast da vorhin etwas von einer Idee angedeutet«, sprudelte es aus ihr hervor.
Der Professor war bereits im Begriff, seine Idee in die Tat umzusetzen. Er hatte einen kleinen Handkoffer hochgenommen und ging damit zur Tür.
»Chef…« Nicoles Augen wurden groß, als sie erkannte, was das für ein Koffer war, den er da in der Hand hatte. Ihre Neugierde geriet jetzt doch in den Hintergrund.
»Chef, was, um Gottes willen, hast du mit meinem Perückenkoffer vor?« Die Furcht, daß ihren über alles geliebten Reserveköpfen Ungewisses bevorstand, verlieh ihrer Stimme einen leicht schrillen Klang.
Der Professor lächelte. »Später, Nicole«, sagte er wieder und öffnete die Zimmertür. Vorsichtig lugte er nach draußen. Er sah einen Etagenkellner und machte die Tür blitzschnell wieder zu.
Erst eine Minute später, als er sich ganz sicher war, daß sich niemand auf dem Flur aufhielt, verließ er mit dem Perückenkoffer in der Hand das Zimmer.
Eine total verwirrte Nicole blieb zurück.
***
Baalyaton schlug die Augen auf.
Er war sofort hellwach, verspürte keine schlaffe Müdigkeit in seinen Gliedern.
Baalyaton wußte, daß er lange geschlafen hatte, länger wahrscheinlich als je ein Mensch zuvor. Und er wußte auch, daß sein Schlaf kein normaler Schlaf gewesen war, wußte, daß es ein künstlicher Schlaf gewesen war, den ihm der Gott geschenkt hatte.
Und nun hatte ihn der Gott aus dem Schlaf aufwachen lassen.
Langsam erhob er sich von den kalten Marmorplatten des Tempelbodens.
Auch die anderen waren erwacht, die Priester und die geweihten Frauen. Sie richteten sich ebenfalls auf.
Der Oberpriester blickte sich um.
Der Tempel war von einem flackernden Lichtschein erfüllt. Das ewige Feuer des Herrn Baal-Hammon loderte mit unverminderter magischer Kraft.
Aber da war auch noch ein anderes Licht - Tageslicht. Es fiel ein durch eine Lücke, die sich in dem schützenden Felsenvorhang vor dem Tempelportal aufgetan hatte.
Es war still, fast beängstigend still. Kein Kampfeslärm drang ins Innere des Heiligtums, kein Siegesgebrüll der Krieger aus dem verfluchten Land, keine Schreie der Verletzten und der Todgeweihten.
Die Stille des Friedens?
Stimmen schwirrten jetzt durch den Tempel. Die Zungen der Priester und Jungfrauen hatten sich gelöst. Mit einer gebieterischen Geste unterband Baalyaton die Plapperei.
»Schweigt«, wies er die Seinen an, »dies ist nicht der Zeitpunkt für eitles Geschwätz.«
Sie schwiegen auf der Stelle. Sein Wort war Befehl für sie. Er war der Oberpriester.
Gemessenen Schrittes ging er zu der Lücke in den Felsen und blickte hinaus.
Die Überraschung übermannte ihn, ließ ihn beinahe taumeln. Großer Baal! Alles war anders, alles hatte sich verändert. Und in welch außerordentlichem Maße…
Dort wo Karthago gelegen hatte, die brennende Stadt, über die düstere Rauchschwaden hinweggezogen waren, lag jetzt eine andere Stadt. Eine fremde Stadt mit seltsam breitgestreckten Häusern, ungewöhnlichen spitzen Türmen, rätselhaften Rundkuppeln.
Kein Krieg hatte diese Stadt je heimgesucht. Nirgends waren Spuren des Verfalls oder der Zerstörung. Die Stadt hatte keine Schutzmauer, keine Tempel. Und sie war viel kleiner als das Karthago, das er kannte.
Eine fremde Stadt, eine fremde Welt, eine fremde… Zeit!
Im Vordergrund sah er ein pompöses Haus mit ungewöhnlich bunten, glatten Flächen, umgeben von einer blühenden Gartenfläche, wie sie eines Gottes würdig war. Die Steintreppe, die zum Portal des Tempels geführt hatte, existierte nicht mehr.
Erst jetzt bemerkte er die beiden Männer, die unmittelbar am Fuße der schützenden Geröllwand standen, etwa zwei Mannshöhen unterhalb der Öffnung, durch
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