0086 - Gangster, Banken und ein G-man
heute Morgen eingesteckt habt?«
»Beim Chef abgeliefert. Er teilt es auf.«
»In welcher Weise teilt er es auf?«
»Ungefähr die Hälfte behält er als seinen Anteil und zur Deckung der Betriebskosten. Den Rest verteilt er auf alle Beteiligten.«
»Reden wir deutlich miteinander, Sley«, sagte ich. »Als du mich in deinen Verein aufnahmst, hast du angedeutet, dass ich mich immer an dich halten soll. Du meinst damit, dass ich mich auf deine Seite schlagen soll, wenn du den Chef absetzt und ihn verschwinden lässt. Okay, ich bin einverstanden, und du kannst auf mich rechnen, aber nur, wenn es sich lohnt. Sobald wir mithilfe des Chefs einen Fischzug durchgeführt haben, der einige Hunderttausend Fischlein eingebracht hat, stoßen wir den Gentleman von seinem Stühlchen. Woher hat der Boss überhaupt seine Informationen.«
Mertric zögerte mit der Antwort. Schließlich antwortete er: »Er war selbst einmal Direktor einer Bank.«
Ich stieß einen Pfiff aus. »Und jetzt lässt er sie berauben! Prächtig!«
»Er kennt die örtlichen Verhältnisse in vielen Banken. Außerdem besucht er immer wieder seine ehemaligen Kollegen, die jünger sind als er. Bei solchen Gelegenheiten sieht er sich um.«
Ich lachte schallend. »Der Mann scheint nicht so dumm zu sein, wie ich glaubte. Sley, ich will mit ihm sprechen.«
Mertric schüttelte den Kopf. »Er will nicht, dass irgendwer mit ihm persönlich verhandelt. Nur ich darf zu ihm kommen.«
Ich beugte mich vor, und ehe er eine Gegenbewegung machen konnte, hatte ich ihm seine Pistole aus dem Schulterhalfter gefischt.
Er riss die Augenbrauen hoch.
»Was soll das?«, stammelte er.
»Jetzt fahren wir zu deinem Chef, und du kannst mit gutem Gewissen sagen, ich hätte dich gezwungen.«
Er sah mich unsicher an.
»Sei nicht so schwer von Begriff!«, stöhnte ich. »Natürlich stehe ich auf deiner Seite, aber wenn du mich nicht freiwillig zum Boss mitnehmen willst, müssen wir so tun, als hätte ich dich gezwungen. Gehen wir!«
Ich steckte sein Schießeisen in die Jackentasche.
»Ich verstehe nicht recht, was das alles soll«, sagte er, während wir zur Tür gingen, aber er fügte sich.
Sein Wagen stand zwanzig Schritte weiter. Auf der Stoßstange saß Shoeshine, der riesige Neger. Auf dem Fahrersitz lümmelte sich Greg Found herum.
»Shoeshine müssen wir mitnehmen«, sagte Mertric. »Ich fahre nie zum Chef ohne ihn.«
»Warum?«
Er zuckte die Achsel. »Der Chef wünscht es so. Shoeshine ist der Einzige, den er in die Bande geschickt hat. Alle anderen habe ich zusammengetrommelt, aber heute ist auch Shoeshine mein Mann.«
Found musste aussteigen. Mit einer Handbewegung bedeutete Mertric dem Neger, sich auf den Beifahrersitz zu setzen. Ich ließ mich in den Fond fallen.
»Rufe mich morgen früh an«, befahl Mertric seinem schiefen Gehilfen. »Kann sein, dass wir uns alle morgen Abend wieder hier treffen müssen. Wahrscheinlich verteilen wir dann, was wir heute gefischt haben.«
»Okay, Chef«, antwortete Found. Sley fuhr an.
***
Er steuerte den Wagen in Richtung Bronx, durchquerte den ganzen Stadtteil bis nach Westchester hinein. Kurz vor New Rochell nahm er eine Straße, die zum Strand hinunterführte. Schließlich stoppte er den Wagen vor einem großen Holzhaus, das inmitten eines Gartens stand.
»Das ist es«, sagte er.
Shoeshine sprang diensteifrig hinaus und öffnete das Gartentor. Als Mertric an ihm vorbeifuhr, sprang er gewandt wie eine Katze auf das schmale Trittbrett, hielt sich an der Fensteröffnung fest und fuhr auf diese Weis6 mit bis zu dem Treppenaufgang.
Für einen Holzbau war das Haus ungewöhnlich groß. Es hatte drei Stockwerke und stand auf einem Steinsockel. Links und rechts schlossen sich einige Gebäude an, wahrscheinlich die Garagen. Eine Steintreppe führte bis zum Eingang, der fast in der Höhe der ersten Etage lag.
Ich ließ Mertric und den Neger Vorgehen, um den Eindruck zu erwecken, dass sie unter Zwang handelten. Wir hatten die Tür noch nicht erreicht, als sie von innen aufgerissen wurde. Im Licht der Diele stand die hochgewachsene Gestalt eines merkwürdigen Mannes.
Auf den ersten Blick sah er aus wie ein ehrwürdiger englischer Lord. Er hatte ein kantiges, hartes Greisengesicht. Sein noch volles, weißes Haar war streng gescheitelt und sorgfältig gekämmt. Ein dichter, weißer Schnurrbart bedeckte seine Oberlippe und den größten Teil seines schmalen, starken Mundes.
Er trug einen schwarzen, seidenen Schlafrock, eine schwarze
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