0088 - Der Guru aus dem Totenreich
Drudenfuß in der Mitte, den Tierkreiszeichen in einem mittleren Kreis und unbekannte Runen und Symbole im äußersten, verschlungen in magische Figuren. Zeichen aller Schriften kamen drin vor.
Selbst Zamorra kannte nicht das ganze Spektrum der Zauberkräfte seines Amuletts. Doch hatte er sich schon oft darüber gewundert, daß sogar Schriftzeichen aus dem Sanskrit und chinesische Dyiangs eingegossen waren, obwohl man in der westlichen Welt zu jener Zeit, als das Amulett entstanden sein mußte, die Kulturen noch gar nicht kannte, ja noch nicht einmal alle Schriften entstanden waren.
Eines der vielen ungelösten Rätsel des silbernen Amuletts.
Und nun konnte Modjir Brahmul das Amulett nicht finden. Er durchsuchte auch noch die Taschen des wie bewußtlos Liegenden und scheute sich nicht davor, auch das weißblonde Mädchen zu durchsuchen.
Nichts.
Mißgelaunt brach er die Suche ab. Er durfte nicht noch mehr Zeit vertrödeln. Vielleicht würde sich später nochmals eine Gelegenheit ergeben. Inzwischen mußte dieser Hindu-Mönch alles getan haben, was er von jenem Augenblick an tun mußte, als einer seiner Diener ihm in Delhi den Packen mit den Vedas in die Bettelschale gelegt hatte, während Modjir Brahmul aus sicherer Entfernung alles beobachtete und den Sadhu auch später nicht mehr aus den Augen ließ.
Bis zur ersten Entführung. Dann wußte er, daß das Dämonenwesen bereits Macht über den Sadhu hatte.
Und er — Modjir Brahmul Al Fujieb — hatte Macht über Rudrasvin!
Der Maharadscha-Nachfahre ließ die beiden Franzosen schlafen. Er gab seinen Dienern noch ein paar Anweisungen und ließ sich dann den Range Rover vorfahren. Dort, wohin er wollte, gab es keine Straßen. Hinüber nach Sarasia und dann hinaus auf das Hochland mit den Hügeln und dem Satansgrab, das für ihn als den Beherrscher Rudrasvins jedoch keine Schrecken hatte.
Es ging auf Mitternacht zu, als er den Wagen mit dem Allradantrieb von der staubigen Straße jagte und ihn querfeldein einen leichten Hang hinauftrieb. Er holperte im Autositz auf und nieder, als säße er auf einem Kamel. Der Boden war uneben und von Geröll übersät. Die extradicken Reifen gaben jedê Unebenheit an das Chassis des Wagens weiter. Modjir Brahmul umklammerte das Steuer mit festem Griff.
Der rote Mond spendete genügend Licht. Er war inzwischen etwas fahler geworden. Die Nacht kühlte ab und trocknete den Schweiß auf seiner Stirn. Er hatte nicht mehr das wertvolle Gewand an, sondern war in die bequemere Tropenkleidung geschlüpft. Sein fettig glänzendes Haar umflatterte ihn im Fahrtwind. Um den Mund des Inders lag ein grausames Lächeln.
Er kannte die Bannsprüche Varunas. Ihm konnte der Dämon nichts anhaben. Er würde ihn sich untertan machen. Rudrasvin würde sein gehorsamster Diener sein. Und Rudrasvin würde der neue Herr gefallen, denn der Dämon durfte bei ihm das tun, was seinen Neigungen entsprach.
Er durfte töten. Durfte viele Menschen töten. Feinde, die Modjir Brahmul Al Fujieb vernieten wollte, ohne daß jemals ein Verdacht auf ihn fiel.
Zuerst würde er sich an die Spitze seines Distrikts bringen, dann des Landes, dann von Indien, und dann…
Die Hügel tauchten in die Lichtfinger der starken Scheinwerfer. Modjir Brahmul fuhr den Weg, den Sadhu Shandri gegangen war. Noch einmal wiederholte er im Geist die Atharvavedas, die ihm die Herrschaft über den Drachenköpfigen verliehen. Wenn alles nach seinem Willen gelaufen war, mußte er den Dämon bald zu Gesicht bekommen. Zeit genug hatte Sadhu Shandri gehabt.
Der Range Rover legte auch noch die letzten fünfhundert Meter zurück. Nun mußte es bald soweit sein. Modjir Brahmul starrte angestrengt durch die Windschutzscheibe.
Da vorne!
Keinen Steinwurf mehr weit entfernt! Ein Gebilde wie eine monströse Fledermaus, die Flügel ausgebreitet. Dazwischen ein golden schimmernder Körper. Größer als zwei erwachsene Menschen.
Der Inder trat auf die Bremse, ließ den Motor laufen und den Schlüssel stecken. Seine Augen glänzten fanatisch, als er ins Freie sprang. Das Wesen hatte Pfeil und Bogen auf ihn angelegt. Modjir Brahmul bot seine ungeschützte Brust und breitete die Arme aus.
Bevor der Pfeil die Sehne verließ, schrie er die Formeln in die Nacht hinaus, die ihm Macht über den Dämon verliehen, die Rudrasvin zu einem willfährigen Werkzeug in seinen Händen machten. Der Dämon blies gelben Dampf aus den Löchern im Schnabel.
Ein Zeichen ohnmächtigen Zorns?
Jedenfalls senkte Rudrasvin
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