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0088 - Die weißen Teufel von New York

0088 - Die weißen Teufel von New York

Titel: 0088 - Die weißen Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die weißen Teufel von New York
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natürlichste Schutz noch halten? Wie lange würde es noch dauern, bis die Flammen sie umzuckten, bis der Fußboden unter ihren Füßen krachte und brannte, bis die Tische und Bänke neue Nahrung für das unersättliche Feuer waren?
    Seit Jahren standen sie in wohltemperierten Zimmern. Ihr Holz mußte trocken sein wie Zunder. Wenn die Flammen diese erfaßten, mußten sie im Klassenzimmer selbst die Feuersbrunst haben.
    Sie hob den Kopf und sah sich um. Dort war Bob Rillings, der kräftigste Junge ihrer Klasse. Ein Junge, der mit zwölf Jahren schon den Eindruck eines Sechzehnjährigen machte, was seine Statur betraf.
    Sie ging zu ihm hin. Sie rüttelte ihn so lange, bis er den in den angewinkelten Armen begrabenen Kopf hob. »Bob!« rief sie. »Komm, hilf mir!« Er erhob sich aus seiner Bank und folgte ihr, willenlos wie ein Tier, das den Befehl seines Herrn vernahm. Mit ein paar hastigen Bewegungen dirigierte sie ihn. Dicht vor der Tür packten sie die erste Bank. Der heiße, alles versengende Atem des Feuers griff wie mit mörderischen Händen nach ihnen.
    Der Jungen runzelte plötzlich die Stirn. Auf einmal sah er aus, als sei er sechzig. Er schien nachzudenken, zu sutzen und plötzlich zu begreifen. »Raus mit dem Dreck!« rief er.
    Sie schwangen die Bank hin und her wie ein Bündel. Mrs. van Helsten zählte den Schwung:
    »Eins — zwei — und — drei!«
    Bei »drei« warfen sie die Bank hinaus in den Flur. Krachend stürzte sie inmitten des lodernden Flammenmeers auf einen brennenden Dielenboden. Der Flur in der vierten Etage war ja nicht, wie in den tieferen Stockwerken, mit Fliesen ausgelegt. Er bestand aus Dielenbrettern. Das war ja das Fürchterliche…
    Bank nach Bank, Tisch nach Tisch flog hinaus in den brennenden Hexenkessel. Die Flammen machten sich gierig darüber her. Mrs. van Helsten und Bob arbeiteten so besessen, daß es ihnen selbst wie der Weg zur Rettung vorkam. Allein die Tatsache, daß sie etwas tun konnten, daß sie nicht mehr tatenlos einem drohenden Tod entgegensehen mußten, befreite sie in gewisser Hinsicht vor der furchtbar drückenden Todesangst.
    Ein paar von den Jungen wurden von der Tätigkeit angesteckt. Eifrig schoben sie die entfernteren Tische und Bänke in die Nähe der Tür. Die anderen drängten sich in der Mitte des Zimmers zusammen wie eine aufgestörte Herde verängstigten Viehs. Schon hatten einige keine Tränen mehr und würgten nur noch mit trockner Kehle ihr heiseres Schluchzen hervor, das vom Lärm der Feuersbrunst völlig verschluckt wurde.
    Dann war auch dies getan. Vor der Klasse türmte sich ein Berg brennender Schulmöbel. Gierig züngelnden Flammen freiwillig preisgegeben. Die zuerst geworfenen Tische und Bänke waren schon zu Asche zerfallen.
    Mitten in ihrer verzweifelten Arbeit überfiel Mrs. van Helsten auf einmal ein entsetzlicher Gedanke:
    Vielleicht weiß keiner, daß wir noch hier oben sind? Vielleicht ist das allgemeine Durcheinander, daß eine solche Katastrophe zu begleiten pflegt, schon so groß, daß niemand sich unserer Anwesenheit hier oben erinnert? Vielleicht sind auch ein paar Lehrkräfte, die den Stundenplan kennen, die genau wissen, welche Klasse zu welcher Zeit in welchen Räume der Schule sein muß, anderweitig so beschäftigt, daß sie gar nicht dazu kommen, an uns zu denken? Vielleicht — immerhin sind über vierhundert Kinder in der Schule — ist man mit der Rettung anderer so beschäftigt, daß keiner an uns denkt?
    Sie winkte einen anderen Jungen herbei. Erschöpft ließ sie sich auf eine der wenigen noch vorhandenen Bänke fallen. Wenn das so ist, dachte sie, wenn man von unserer hoffnungslosen Lage hier oben gar nichts weiß — dann ist alle Hoffnung verloren. Dann gibt es gar keine Aussicht auf Rettung. Dann werden wir den fürchterlichsten Tod sterben, der sich denken läßt. Dann werden vierundzwanzig Kinder lebenden Leibes verbrennen müssen…
    Trotzig hob sie den Kopf. War sie deswegen den Bombennächten von Berlin entkommen, um hier zu verbrennen? Hatte sie dafür Phosphorkanister und Brandbomben, Luftminen und Flaksplitter überstanden, um hier den nämlichen grauenvollen To' inmitten unschuldiger Kinder zu erleben?
    Man mußte sie draußen darauf aufmerksam machen, daß hier noch Menschen waren, daß hier sehnsüchtige, verzweifelte, an den Rand des Wahnsinns getriebene Kinder ihrer Rettung harrten.
    Sie stand auf.
    Sie wußte genau, was sie tun mußte. Ihre Züge waren wie versteinert. Aber sie zögerte nicht eine

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