0091 - Lucifers Bücher
das Freie zu erreichen, und blickte enttäuscht in eine Vorhalle.
Keine Menschenseele war zu sehen, und vom Kampflärm vor dem Haus war hier wenig zu hören. Dennoch war es laut, denn viel zu spät hörte er hinter seinem Rücken ein saugendes Geräusch, das ihm unheimlich vorkam.
Er wollte sich herumwerfen, wollte sehen, was sich hinter ihm befand, als er den eiskalten Luftstrom seinen Körper umspülen fühlte. Seine Gedanken bewegten sich hinter seiner Stirn immer langsamer, der Boden unter seinen Füßen, gerade noch fest, wurde weich wie Butter in der Sonne, der Tag dunkelte rasch, und seine letzten klaren Gedanken riefen ihm zu, daß die Mächte der Finsternis ihn abermals überwältigt hatten - ihn, Professor Zamorra, den in seiner Zeit auf der ganzen Welt bekannten Parapsychologen.
Er sah nicht mehr das hexenhafte Gesicht der Mater-Domina, das sich über ihn beugte und ihn aus kohleschwarzen Augen anstarrte.
***
Die »Psichiatria San Agnese« in Florenz war nicht der letzte Schrei auf diesem medizinischen Sektor. Dementsprechend war Nicole Duval untergebracht, die alles sah, hörte und verstand, aber nicht in der Lage war, es den Ärzten zu zeigen.
Der schauerliche Raum mit vier unsauberen Betten, die dumpf rochen, machte der rassigen jungen Frau herzlich wenig aus, aber die Anwesenheit von drei Geisteskranken, die keine einzige Minute ihr sinnloses Lallen und Brüllen einstellten, fraß ihre Widerstandskraft gegen ihr unheimliches Schicksal langsam und sicher auf.
Ein Arzt beugte sich über sie. Sie hatte ihn noch nie gesehen. Sie hörte ihn in italienischer Sprache einige Fachausdrücke sagen, die sie nicht kannte. Dann erwiderte im Hintergrund eine Frau: »Si, Dottore, die Signorina anschnallen und jede zweite Stunde kontrollieren. Auch nachts, Dottore?«
Der fauchte die Fragerin an: »Sorella Manuela, können Sie mir vielleicht verraten, wer hier nachts dazu Zeit hat?«
Nicole war der Verzweiflung nahe.
Man wollte sie festbinden!
Man wollte nur alle zwei Stunden nach ihr sehen, dagegen nachts gar nicht!
Wollte denn kein einziger Mensch in diesem Irrenhaus sehen, daß Kräfte der höllischen Magie sie in diesen fürchterlichen Zustand gepreßt hatten?
Ein Wort begann, hinter ihrer Stirn zu hämmern, mit dem sie aber nichts anfangen konnte: Domdonar…! Domdonar…! und immer wieder das Wort Domdonar…
Zwei Krankenschwestern schnallten sie auf dem Bett an.
Eine Ordensschwester schaute mit ausdruckslosem Gesicht zu. Der Arzt war nicht mehr zu sehen, noch zu hören.
Und Nicole Duval konnte mit keinem Zeichen, mit keinem Blinzeln oder Zucken zu erkennen geben, daß sie alles sah, hörte und verstand.
Und fühlte.
Die harten Lederriemen an den Handgelenken begannen jetzt schon zu schmerzen.
Dann war sie mit den drei lallenden, brüllenden Geisteskranken, die wie sie angeschnallt waren, in dem trostlosen Raum wieder allein.
Die »Psichiatria San Agnese« in Florenz hatten noch nie ihre Kranken schnell wieder in die Freiheit entlassen…
***
Arturo Trifallini, der außer Dienst gesetzte Casanova, gab schnell das dumpfe Dahinbrüten auf. Seine Lebensgeister wurden wieder wach, und er begriff damit, wo sie sich befanden. Bloß wie sie ins alte Imperium Romanum gekommen waren und dazu noch in die Gegend von Neapel - denn nur dort gab es den Vesuv -, konnte er sich nicht erklären. Aber das war für den praktisch denkenden Mann jetzt zweitrangig.
Sie mußten aus diesem stinkenden Loch heraus.
Sie mußten Gelegenheit bekommen und diesen römischen Banausen sagen können, daß sie die friedlichsten Wegelagerer ihrer Zeit seien und auf den schönen italienischen Autostraßen den harmlosen Autofahrern das Geld aus der Tasche zögen - für Vater Staat, versteht sich. Und…
»Mio dio…«, flehte er den lieben Gott an.
»Was hast du denn, Arturo?« fragte ihn Luigi Mente teilnahmslos.
Der schnarrte herunter, worauf er gerade gestoßen war.
»Wenn wir denen klar machen, daß wir Straßenpolizisten sind, die Autofahrer stoppen, werfen die uns in irgendeiner Arena den ausgehungerten Löwen vor. Mann, Luigi, was sagen wir diesen Römern bloß, wenn wir…«
Weiter kam er nicht. Die Tür knarrte in den stabilen Angeln. Drei Öllichter spendeten herzlich wenig Licht, aber es reichte, um die beiden Gefangenen sehen zu lassen, daß sie es mit acht bewaffneten Römern zu tun hatten, und der Boß der kleinen Gruppe, die sie gefangengenommen hatte, befand sich auch darunter.
Sie sollten mitkommen.
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