0095 - Am Mittag vor dem großen Coup
war auf die Minute genau zweiundzwanzig Uhr zehn, als wir Mr. Highs Office betraten. Er hatte uns ausdrücklich sagen lassen, daß er bleiben würde, bis wir die Arbeit abgeschlossen hatten.
Er sah es wohl schon an unseren Gesichtern.
»Nichts?« fragte er.
»Nichts«, bestätigte ich ihm. »Wir haben von allen getrennt den gleichen Text sprechen lassen. Unsere Experten haben sich sofort über die Tonbänder hergemacht. Nicht eiri Mann von.der Creanan-Gang kann einer der beiden Gesprächspartner von heute morgen gewesen sein.«
Mr. High sagte nichts. Nach einer Weile zog er sich das Telefonbuch heran und blätterte. Schließlich wählte er die beiden Buchstaben und die fünfstellige Zahl, aus der jede Telefonnummer in Manhattan besteht.
»High«, sagte er, »ist ein Anruf gekommen?« er lauschte einen Augenblick und sagte: »Danke.«
Er legte den Hörer auf und nahm den anderen vom Hausapparat.
Nachdem er gewählt hatte, sagte er: »Sie sind noch da, Less? Aber Sie hätten doch eigentlich schon seit sechzehn Uhr Feierabend. — Sie wollen wissen, wie es weitergeht? Das kann ich verstehen. Ich fürchte nur, bei uns geht es überhaupt nicht weiter. War etwas? — Danke.«
Der Chef warf den Hörer auf die Gabel.
»Nichts«, sagte er wieder. »Weder in der Spelunke ist angerufen worden, noch wurde im Zusammenhang mit der geplanten Ermordung einer Frau von der Telefonzelle aus ein Gespräch geführt.«
»Was kann das bedeuten?« murmelte Phil.
»Was meinen Sie, Jerry?« fragte der Chef.
Ich steckte.mir eine Zigarette an. Der Henker mochte wissen, die wievielte es an diesem Tag schon war.
»Es gibt drei Erklärungen. Eine für den Fall, daß die Creanan-Gang doch in der Geschichte drinhängt.«
»Nämlich?«
»Der Mann, der anrief, hat von der Verhaftung der Bande gehört und hütet sich jetzt natürlich, sinnlos mit der Bande Kontakt zu suchen, da er ihn ja doch nicht kriegen kann.«
»Das leuchtet ein«, nickte Phil. »Und die anderen beiden Möglichkeiten?«
»Erklären den Sachverhalt für den Fall, daß die Creanan-Gang wirklich nichts von dem geplanten Mord weiß. Zuerst besteht die Möglichkeit, daß der für einundzwanzig Uhr angekündigte Anruf eben noch nicht durchgeführt wurde, sei es aus welchen Gründen auch immer. Das wäre mir die sympathischste Lösung, denn dann könnte man den Anruf immerhin noch erwarten. Ich glaube aber eher, daß die letzte Erklärung ins Schwarze trifft.«
»Und wie sieht die aus?« erkundigte sich Phil.
»Ganz einfach«, sagte ich. »Der Anruf heute abend wurde nicht von der Telefonzelle aus getätigt, deren Leitung wir angezapft haben. Ich weiß nicht, wieviel zigtausend Telefonanschlüsse es in Ney York gibt. Die Chancen stehen dann praktisch einige zigtausend zu eins dagegen, daß der Anrufer wieder von der gleichen Zelle aus telefoniert.«
Mr. High nickte ernst.
»Ich glaube auch an diese letztere Möglichkeit. Das ist natürlich sehr böse für uns. Und sehr böse für die Frau.«
Phil schlug sich verzweifelt auf die Oberschenkel.
»Können wir denn wirklich gar nichts unternehmen, um die Frau zu finden?« Mr. High zuckte die Achseln.
»Sagen Sie mir was, Phil, und ich werde sofort sämtliche Bereitschaftsdienste alarmieren. Aber wir wissen ja überhaupt nichts von der Frau, um die es sich handelt! Wir kennen ihren Namen nicht, noch ihre Wohnung. Wir haben keine Ahnung, ob sie berufstätig ist und wo. Wir wissen nicht, wie alt oder jung, hübsch oder unansehnlich. Ist sie schlank oder dick, groß oder klein? Und wenn wir nur die Schuhgröße oder die Haarfarbe wüßten, wäre es zwar ein verzweifelt geringer Anhaltspunkt, aber es wäre überhaupt einer. Wir haben gar keinen!«
»Bis auf einen«, warf ich ein.
Mr, High und Phil sahen mich an. »Aber der taugt nichts«, sagte ich schnell. »Wir wissen, daß die Frau irgendwelche Dinger kennen soll. Was allerdings mit den Dingern gemeint ist, das ahnen wir auch nicht.«
Ein langes Schweigen legte sich über unsere kleine Gesellschaft. Wir waren alle rechtschaffen müde, denn es ging nun schon auf dreiundzwanzig Uhr, und wir hatten noch keine Stunde Ruhe gehabt, aber uns hielt ein schreckliches Wissen wach: die Gewißheit, daß jetzt irgendwo in Manhattan ein Mord an einer Frau kaltblütig geplant und vorbereitet wurde.
»Das ist ja zum Verrücktwerden!« schimpfte Phil. »Wenn man wenigstens etwas tun könnte! Ich würde mir ja gern die Nacht um die Ohren schlagen, wenn man etwas unternehmen könnte!
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