0095 - Die Höllenkutsche
Mauer. Da war kein Stein auf den anderen mit Spieß aufeinandergefügt, sondern dicht an dicht nebeneinander gesetzt worden. Die gewaltigen Quader bildeten eine Einheit.
Wind und Wetter hatten ihre Spuren hinterlassen und die Außenseiten blankgefegt. In den Ritzen und Spalten wuchs das Moos. In fingerdicken Kerben lag gefrorener Schnee.
Harry wollte endlich ins Schloß. »Sehen wir zu, daß wir reinkommen«, sagte er.
Dean nickte. Wie beim Aufstieg, so schritt er auch jetzt voran. Sie stemmten sich gegen den Wind, umrundeten die Mauer und gelangten an die Westseite, wo auch der normale Weg hochführte und vor einem gewaltigen Tor endete.
»Da wären wir«, sagte Dean Flint. Er grinste seinen Partner an. »War doch alles halb so schlimm – oder?«
»Ich bin kaputt.«
»Aber gleich wirst du staunen.«
»Abwarten.«
Zuerst einmal erwartete die Männer eine große Überraschung. Das zweiflügelige Tor war nicht verschlossen.
Darüber wunderte sich Dean Flint. »Das ist ein Ding«, sagte er. »Hattest du damit gerechnet?«
Harry schüttelte den Kopf.
Dean lachte und schlug gegen das dicke Holz. »Wenn man schon so nett eingeladen wird, soll man die Einladung auch annehmen«, sagte er und betrat den Schloßhof.
Sie hatten schon größere Schlösser oder Burgen gesehen als dieses hier. Das Schloß zeigte einen quadratischen Grundriß. Der Innenhof war von der hohen Steinmauer umgeben, die sicherlich eine halbe Ewigkeit hielt.
Die beiden sich gegenüberliegenden Türme wirkten wie gewaltige Finger, die sich nach den über dem Himmel treibenden Wolken recken wollten.
Auf dem Schloßhof war das Pflaster zum Teil aufgerissen. Unkraut hatte hier einen idealen Nährboden gefunden.
»Der letzte Schloßherr hat wirklich nicht mehr viel daran getan«, meinte Dean.
»Wie lange ist er schon tot?« fragte Harry.
»Über ein Jahr. Das weißt du doch.«
»Und dann glaubst du, daß du noch etwas findest. Da waren bestimmt schon die Kerle von der Konkurrenz vor uns hier.«
»Vielleicht. Aber das werden wir bald festgestellt haben.« Dean Flint tigerte auf das Portal des Schlosses zu. Eine große zweiflügelige Tür, zu der eine wuchtige Steintreppe hochführte. Sie wurde von zwei Mauern begrenzt, die an ihrem Anfang die steinernen Köpfe zweier Löwen zeigten.
Harry Salem schaute sich öfter um, als sie über die breiten Stufen stiegen. Ihm war die ganze Sache nicht geheuer. Die Warnungen gingen ihm einfach nicht aus dem Kopf. Und dieses Schloß machte wirklich einen finsteren düsteren Eindruck.
Auch beklemmend…
Dean Flint war vor dem Hauptportal stehengeblieben. Er drehte sich um und winkte seinem Partner zu. »Komm schon.«
Das Portal war offen.
Dean Flint lehnte sich dagegen und drückte es auf. Erbärmlich quietschte es in den Angeln, und die beiden Männer fühlten sich wie in einen Gruselfilm versetzt.
Dunkelheit gähnte ihnen entgegen.
»Die Lampe!« zischte Flint.
Harry Salem hakte die Taschenlampe von seinem Gürtel los und reichte sie Dean rüber.
Der schob den Schalter nach vorn, und noch im gleichen Atemzug durchschnitt der armbreite Lichtbalken die im Schloß herrschende Finsternis.
Sie waren in einer gewaltigen Halle gelandet – und es stand noch alles so, wie der Graf es verlassen hatte.
»Mensch!« staunte Flint, »das gibt es doch gar nicht. Da war niemand vor uns?«
»Sieht so aus.« Auch Harry Salem hatte seine alte Sicherheit zurückgefunden. Jetzt, wo alles normal war, da verflog auch bei ihm die Angst.
Flint schwenkte die Lampe. Ihr Schein traf auch einen großen Kerzenleuchter.
»Zünde die Dinger an«, sagte Flint.
Harry nickte und schritt auf den vierarmigen Leuchter zu.
Der Leuchter war schwer, und Harry bekam ihn beim ersten Zufassen nicht richtig in die Hand. »Mann«, stöhnte er, »das ist ja ein Totschläger.«
Flint war schon vorgegangen. In der Mitte der Halle stand er und ließ den Scheinwerferstrahl kreisförmig wandern. »Alles noch da, alles noch da!« Das waren die einzigen Worte, die er herausbrachte. »Man kann nur staunen.«
Harry nickte dazu. Er hatte sich inzwischen an das Gewicht des Leuchters gewöhnt. Langsam schwenkte er ihn im Kreis. Die Kerzen flackerten, zuckten, bewegten sich und malten tanzende Schatten an die Wände und Gegenstände.
Vor den Fenstern hingen lange Vorhänge. Bilder schmückten die Wände. Manche von ihnen konnte man schon als Kolossalgemälde bezeichnen. Sie zeigten Schlachten der Vergangenheit, und immer wieder stand die Burg
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