0098 - Ich und die Tote ohne Gesicht
in einen Sessel und rauchte. Währenddessen telefonierte Louisa. Robert Harker war nicht in seiner Stadtwohnung. Auch seine Frau nicht. Der dienstbare Geist am anderen Ende der Strippe wusste nichts zu sagen, was uns weitergeholfen hätte. Das pfiffige Mädchen telefonierte noch mit einem Haufen anderer Leute, von denen es wusste, dass sie zur engeren Bekanntschaft von Jana Harker gehörten. Alle waren erstaunt, dass Jana schon wieder nach New York zurückgekehrt sei.
Ich wartete darauf, dass die Kleine auch Susan Marr anrufen würde. Ich wartete vergeblich. Schließlich fragte ich. »Sie haben Miss Marr vergessen.«
Louisa zog ihr Himmelf ahrtsnäschen kraus. »Meine Chefin wird auf keinen Fall zu der gefahren sein, Mister Cotton. Beide können sich nämlich nicht leiden.«
»Ach so«, sagte ich. »Das ist natürlich etwas anderes.« Ich tat, als interessierte mich die Sache recht wenig, war aber außerordentlich gespannt. »Warum können sich die beiden Damen denn nicht leiden, Louisa?«
Zu meinem Leidwesen wusste das Mädchen es auch nicht. Sogleich wurde mir klar, dass ich nur von dieser Seite aus etwas erfahren konnte. Ich suchte die Nummer im Telefonbuch und nahm Louisa den Hörer aus der Hand.
»Hallo, kann ich mit Miss Marr sprechen?«, sagte ich.
»Wer ist denn dort?«
»Jerry Cotton.«
»Einen Augenblick bitte, ich werde Miss Susan verständigen.«
Es knackte, und dann hörte ich eine melodische Stimme. »Hier Susan Marr. Sie wünschen?«
»Entschuldigen Sie die späte Störung«, bat ich, »aber es handelt sich um eine dringende Angelegenheit. Kann ich mit Ihnen noch heute Abend persönlich reden, Miss Marr?«
»Wer sind Sie denn, Mr. Cotton?«
»Beauftragter des FBI.«
Sekundenlange Stille. Dann: »Selbstverständlich stehe ich unserer Polizei zur Verfügung. Wann darf ich Sie erwarten?«
»In einer halben Stunde, wenn es Ihnen recht ist.«
»Von der City aus werden Sie es in einer halben Stunde nicht schaffen, Mister Cotton.«
»Ich befinde mich zufällig in Middleville bei einem alten Freund, dem Polizeimajor Alan Westhanger.«
Sie lachte. »Daddy hat wohl den ganzen Polizeiapparat alarmiert in seiner Angst, mir könnte etwas passiert sein. Wie Sie hören, Mr. Cotton, bin ich unbeschädigt zu Hause angekommen. Sagen Sie das bitte Ihrem Freund.«
»Mr. Marr hat dies bereits getan.«
»Und trotzdem wollen Sie mich sprechen?«
»Jawohl, Miss. Bis gleich.«
Ich legte den Hörer auf die Gabel und rieb mir die Hände. Ich war fest davon überzeugt, in einer knappen Stunde mehr zu wissen als jetzt.
***
Ich verabschiedete mich von der niedlichen Louisa und setzte mich wieder ans Steuer. Der Nebel war so dick wie eine Daunendecke, und es nieselte langsam vor sich hin. Es war eine unangenehme Nacht.
Während mein Jaguar nach Süden schnurrte und meine Augen bemüht waren, die dicke Suppe zu durchdringen, dachte ich nach.
Punkt eins: Wenn, wie die niedliche Louisa sagte, Jana Harker eine so ordnungsliebende Frau war - wie konnte sie dann ihr Schlafzimmer in diesem Zustand zurücklassen? Punkt zwei: wenn weder Louisa noch Zimbo und seine Sarah den Zettel vom Schreibtisch genommen hatten - wer mochte ihn sonst geholt haben? Punkt drei: was hatte Jana Harker bewogen, das Haus zu verlassen, obwohl sie wusste, dass ein Beamter vom FBI sie besuchen würde? Punkt vier: welcher Grund lag vor, dass Jana Harker ausgerechnet Susan Marr, die sie nicht leiden mochte, aus der Südsee zurückgeholt hatte. Und Punkt fünf: was würde sich laut Brief an das Büro zwischen dem 15. und 25. ereignen?
Mir ging durch den Kopf, ob ich vielleicht doch mal Robert Harker anrufen sollte. Irgendwo würde ich ihn schon erreichen. Solche Leute hinterlassen immer, wo sie zu finden sind. Gar nicht ausgeschlossen, dass die von mir Gesuchte friedlich mit ihrem Ehegesponst im Theater oder Kino saß oder in einem Restaurant gemütlich aß.
Esel, sagte ich mir sogleich, wenn diese Dame mit ihrem Mann über das, was sie dem FBI erzählen wollte, gesprochen hätte, wäre es schon vor deinem Besuch geschehen. Ich hielt es für besser, den Advokaten und Vertrauensmann eines Donkey-Marr und Kid Stones noch nicht zu stören. Erst wollte ich die schöne Susan und ihren lieben alten Daddy mal unter die Lupe nehmen. Das andere hatte immer noch Zeit.
Alan hatte mir genau die Lage der Marr-Villa erklärt. Trotz des Nebels brauchte ich nicht ein einziges Mal zu fragen. Als ich vor dem Haus parkte, sah ich mehrere erleuchtete Fenster
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