01 Arthur und die vergessenen Buecher
stehen«, sagte ich.
Wir wurden vom Kellner unterbrochen, der uns unsere Getränke brachte. Ich nutzte die Gelegenheit, um meinen Reiseführer hervorzuziehen und aufzuschlagen. Der Zug hatte die Grenze nach Holland bereits überquert und lief soeben in den Bahnhof von Arnhem ein.
Hammer verstand meinen Hinweis. Er zog eine Rare Book Review aus seinem Pilotenkoffer, ein englisches Fachmagazin, das auch der Bücherwurm abonniert hatte, und vertiefte sich in den Inhalt.
Larissa war über diese schnelle Änderung der Situation sichtlich überrascht. Ich kramte meine Internet-Ausdrucke aus dem Seitenfach meiner Sporttasche hervor und schob sie ihr hin. Sie wollte erst etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders und begann ebenfalls zu lesen.
Ich war überzeugt davon, dass unser Gegenüber nicht zufällig in diesem Zug saß. Aber wie hatte er herausgefunden, dass wir nach Amsterdam fahren würden? Noch vor wenigen Stunden wussten wir selber ja noch nicht einmal davon. War mein Misstrauen vielleicht übertrieben?
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich versuchte, mich auf den Text des Reiseführers zu konzentrieren. Kurz bevor wir Utrecht erreichten, packte Hammer seine Zeitschrift weg und winkte dem Kellner.
»Ich muss euch jetzt leider verlassen«, erklärte er, nachdem er den Kellner um die Rechnung gebeten hatte. »Wir sind gleich da, und mein Mantel hängt noch an meinem Platz im anderen Wagen. Vielleicht sehen wir uns ja in Amsterdam.«
Trotz meiner Proteste bezahlte er auch unsere Getränke und erhob sich von seinem Platz. Er war erstaunlicherweise kleiner als ich. Ich konnte mühelos die Oberfläche seines blank polierten Schädels sehen.
Er streckte Larissa seine feiste Hand hin. »Viel Spaß in Amsterdam, Kleine. Und wenn du deinen Großvater siehst, dann grüß ihn von mir.«
Nachdem er ihre Hand geschüttelt hatte, war ich an der Reihe. Ich verspürte einen Widerwillen, ihn zu berühren, nahm aber trotzdem kurz seine Hand. Wie ein Schraubstock schlossen sich seine Finger um meine. Er trat an mich heran, sodass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt war.
»Du bist ein kluger Bursche, Kleiner«, zischte er. »Aber denk daran: Zu viel Klugheit hat schon manchen in Schwierigkeiten gebracht. Und das willst du doch sicher nicht. Vor allem nicht für deine hübsche Begleiterin.«
Ehe ich etwas erwidern konnte, ließ er meine Hand los und richtet sich auf. Jetzt war er wieder ganz der joviale Geschäftsmann von vorhin. »Gute Reise noch«, rief er. Dann verschwand er im nächsten Wagen.
Ich rieb mir die schmerzende Hand. Da, wo er zugedrückt hatte, wies sie überall rote Flecken auf.
»Ein netter Mann«, sagte Larissa, die von seinen Worten nichts mitbekommen hatte.
»Klar«, erwiderte ich. »So nett wie die Schlange, bevor sie das Kaninchen verschluckt.«
Darauf sagte sie ausnahmsweise mal nichts, und den Rest der Fahrt saßen wir beide schweigend über unserer Lektüre.
Amsterdam
Der Mann mit der Narbe
Auf dem Bahnhofsvorplatz von Amsterdam herrschte ein lärmendes Durcheinander. Überall dröhnten Baumaschinen, dirigierten Arbeiter mit Schutzhelmen Krane und ihre Lasten, ratterten Bohrhämmer, dröhnten Schiffsmotoren. Hinzu kamen das schrille Quietschen der Straßenbahnräder in den Schienen, das Geläute von Fahrradklingeln sowie das Trillern der Polizeipfeifen, mit denen die Uniformierten den Verkehr in den Griff zu bekommen versuchten.
Etwas ratlos standen Larissa und ich in dem ganzen Trubel. Ich kam mir ziemlich verloren vor. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich allein in einer fremden Großstadt. Vor wenigen Stunden noch hatte ich mich auf dieses Abenteuer gefreut. Jetzt sah mit einem Mal alles ganz anders aus. Wie sollten wir uns hier nur zurechtfinden? Ich sehnte mich nach etwas Ruhe, um nachdenken zu können, aber um uns herum drängten die Menschen aus dem Bahnhofsgebäude heraus oder hinein und ständig wurden wir von der einen oder anderen Seite geschubst.
»Wir können hier nicht ewig stehen bleiben«, rief Larissa, die von dem Trubel und der fremden Stadt nicht sonderlich beeindruckt schien. Das bewunderte ich insgeheim an ihr: Sie ließ sich nur schwer aus der Fassung bringen und nahm die Dinge stets so, wie sie kamen. Da konnte ich jetzt nicht schlappmachen. Ich gab mir einen Ruck.
Von meinem Studium des Stadtplans wusste ich, wo van Wolfens Geschäft lag: in einer Gegend Amsterdams, die man Spiegelkwartier nennt. Vom Bahnhof aus führte
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