01 Arthur und die vergessenen Buecher
mit seinem undurchschaubaren Lächeln an.
»Dann versuchen wir es noch mal«, schlug er vor. »Wir haben ja noch einen Schrank.« Und er wollte mich zur anderen Seite des Raums bugsieren.
Ich wehrte mich. »Das funktioniert sowieso nicht zweimal nacheinander.«
»Nun stell dich nicht so an, sondern versuch’s einfach«, sagte Larissa. Sie war sichtlich ungeduldig, das Ergebnis zu erfahren.
»Es spricht für dich, dass du deine Meinung nicht so schnell wechselst«, sagte Gerrit. »Aber du solltest dich deshalb nicht vor neuen Einsichten verschließen.«
»Ich werde keine neue Einsicht gewinnen«, murrte ich, begab mich aber doch zum anderen Schrank. Wenn sie es denn wollten, sollten sie ihre Show haben.
Diesmal langte ich nicht einfach zu, sondern tat so, als würde ich mich konzentrieren. Die Bücher vor mir sahen alle gleich leer aus. Ich hob die rechte Hand, verspürte aber keine Magnetwirkung oder was auch immer sonst mich zu dem richtigen Buch führen sollte. Um meinen Zuschauern noch etwas mehr zu bieten, ging ich in die Hocke, zögerte ein wenig und zog dann auf gut Glück ein dünnes Buch aus der untersten Reihe hervor.
Um den Spaß fortzusetzen, fuhr ich einige Male mit der Hand wenige Zentimeter über dem Buchdeckel hin und her, so wie es Zauberer gerne machen. Dann sah ich das Buch streng an, hielt es Larissa und Gerrit hin und schlug es auf.
Die Reaktion war anders, als ich erwartet hatte. Gerrit verschränkte, unverdrossen lächelnd, die Arme vor der Brust als wolle er sagen: »Siehst du.« Larissa klatschte in die Hände.
»Oh, Arthur, du kannst es!«, rief sie.
Ungläubig drehte ich das Buch um. Die Seiten waren bedruckt. Das war nicht möglich! Einmal war Glück, aber zweimal?
Ich reichte Larissa das Buch und zog nacheinander zehn andere Bücher aus dem Schrank. Sie waren alle leer. Schließlich gab ich auf.
»Und?«, fragte ich Gerrit. »Was hat das nun zu bedeuten?«
»Was denkst du denn?«, fragte er zurück.
Ich überlegte, was soeben vorgefallen war. Ich hatte keine Eingebungen gehabt, hatte mich nicht konzentriert, sondern einfach nur zugegriffen. Und jedes Mal genau das richtige Buch erwischt. Aber würde das auch ein drittes oder viertes Mal funktionieren? Mein Verstand antwortete mit einem klaren Nein , aber irgendwo in meinem Bauch regte sich ein zaghaftes Möglich .
»Also schön«, räumte ich ein. »Vielleicht kann ich aus ein paar Hundert Büchern das Richtige herausfinden. Aber was hilft mir das?«
»Das ist eine Fähigkeit, die nur wenige Menschen besitzen«, antwortete Gerrit. »Sie tritt zum Beispiel besonders häufig bei den Bewahrern auf.«
Ich sah ihn scharf an. »Was willst du damit sagen?«
»Nicht mehr als das, was ich gesagt habe«, lächelte er. »Ihr seid auf der Suche nach dem Buch der Antworten, und ich weiß einige Dinge, die euch dabei helfen könnten. Da muss ich natürlich vorher sicher sein, dass dieses Wissen bei euch in den richtigen Händen ist. Und der kleine Test gerade hat mir diese Gewissheit gegeben.«
Er stellte das Buch zurück und schloss beide Schränke.
»Ich werde euch jetzt etwas erzählen, das mit eurer Suche zu tun hat und das nur wenige wissen. Der Bund der Bewahrer hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Vergessenen Bücher vor all jenen zu beschützen, die sie nur für ihre persönlichen Zwecke nutzen wollen. So viel wisst ihr schon. Was ihr noch nicht kennt, ist das ausgeklügelte System, das die Bewahrer zu diesem Zweck entwickelt haben. Denn es gibt ein Problem: Was passiert, wenn ein Bewahrer stirbt, ohne dass er sein Wissen weitergegeben hat?«
»Dann gehen die Spuren zu den Büchern, die er kannte, verloren«, sagte ich.
»Ganz richtig. Und das ist genau die Situation, in der wir uns derzeit befinden. Niemand weiß, wo das Buch der Antworten versteckt ist. Wir haben Glück, dass van Wolfen die Hinweise in den Erinnerungen des Comte de Vallac gefunden hat. Sie alleine würden aber nicht ausreichen, das Buch der Antworten zu finden.«
»Dann führt die Spur zum Haus mit den Blutflecken also ins Leere?«, fragte ich.
Gerrit lächelte. »Nicht ganz. Sie wird euch nur nicht direkt zum Buch führen, sondern zu einer Zwischenstation: dem ›Register von Leyden‹.«
»Leiden ist doch der Ort, in dem der Besitzer des Buches Professor an der Universität war!«, rief Larissa.
»Und das ist kein Zufall«, nickte Gerrit. »Van Houttenstam war einer der Bewahrer. Aber nicht irgendeiner, sondern der, dem die Aufgabe zufiel, das
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