01 Arthur und die vergessenen Buecher
Mal Gedanken machen. Jetzt mussten wir einen Weg finden, unsere Verfolger auszuschalten.
Ich kramte meine Geldbörse aus der Tasche und zog einen 50-Euro-Schein hervor.
»Den gebe ich dir, wenn du mir versprichst, heute keine SMS mehr abzuschicken«, sagte ich.
Ihre Augen leuchteten beim Anblick des Geldscheins auf. Ich wusste, sie würde tun, was wir von ihr verlangten.
Larissa gab ihr das Handy zurück. »Und jetzt versprichst du mir, uns nicht weiter zu folgen. OK?«
Sie nickte eifrig. Ich gab ihr den Fünfziger, den sie sofort in ihrer Jackentasche verschwinden ließ.
»Du solltest nicht bei etwas mitmachen, dessen Auswirkungen du nicht kennst«, ermahnte sie Larissa.
»Aber ich dachte es ist nur eine große Spiel«, erwiderte das Mädchen. »Alle meine Freunde machen mit. Und wir bekommen immer die neue telefoons .«
Ich seufzte und ließ ihren Arm los. »Denk trotzdem mal drüber nach«, sagte ich, wusste aber nicht, ob sie das gehört hatte, so schnell, wie sie um die Ecke verschwunden war.
Wir sammelten unsere Rollkoffer wieder auf und gingen zügig weiter.
»Können wir ihr trauen?«, fragte Larissa.
»Keine Ahnung. Aber was hätten wir sonst tun sollen?«
»Ich hätte ihr das Handy wegnehmen können.«
»Damit hättest du sie garantiert gegen uns aufgebracht. Ich hoffe, sie wird erst mal unseren Fünfziger verbraten und dabei so viel Zeit brauchen, dass wir schon längst im Zug nach Bologna sitzen.«
»Und ich hoffe, dass wir auf dem Weg zum Bahnhof keinen anderen Augen begegnen«, erwiderte sie.
Es schien, als habe unser Plan funktioniert. Zumindest fielen uns keine weiteren Jugendlichen auf, die ein besonderes Interesse an uns zeigten.
Aber wenn ich eines in den letzten Tagen gelernt hatte, dann war es das, sich nicht zu früh sicher zu fühlen.
Schatten der Vergangenheit
Der CityNightLine nach München verließ Amsterdam Centraal um halb neun abends. Wir würden am nächsten Morgen um kurz nach sieben Uhr in München einfahren und dort in den Eurocity nach Bologna umsteigen.
Es war acht Uhr abends, als wir den Amsterdamer Bahnhof erreichten. Wir waren zwar nur wenige Tage hier gewesen, trotzdem spürte ich einen leichten Abschiedsschmerz. Komisch: Als wir ankamen, hätte ich nichts lieber getan, als auf der Stelle umzukehren. Und jetzt ...
Der Zug stand bereits am Gleis. Wir suchten uns zwei gegenüberliegende Sitzplätze und machten es uns bequem. Langsam begann der Wagen sich zu füllen. Immer wieder stand ich auf, um mir die anderen Reisenden anzusehen. Aber es war nichts Verdächtiges zu entdecken. Kein Kahlkopf, kein Narbengrufti und auch sonst niemand, der ein übermäßiges Interesse an uns gehabt hätte.
Pünktlich um 20:32 Uhr setzte der Zug sich in Bewegung. Wir sahen die Stadt erst langsam und dann immer schneller an uns vorbeiziehen. Als wir aufs freie Land kamen, begann es bereits zu dunkeln. Wir aßen jeder eines der vorzüglichen Brote, die Jan uns eingepackt hatte, und tranken dazu einen kalten Kakao. Dann ließen wir uns satt und müde in unsere Sitze zurückfallen.
»Was ist eigentlich mit deinen Eltern?«, fragte Larissa unvermittelt. »Du scheinst sie ja nicht besonders zu mögen.«
Die Frage überraschte mich und weckte mich aus meinem Dämmerzustand. »Wie kommst du denn darauf?«, erwiderte ich, um Zeit zu gewinnen.
»Na ja, du redest nie über sie, du ziehst es vor, die Ferien bei uns zu verbringen anstatt mit ihnen und hängst jede freie Minute im Laden meines Großvaters rum.«
»Ich mag sie schon«, sagte ich langsam. »Aber sie haben nur selten Zeit für mich. Mein Vater arbeitet in einem großen Unternehmen und ist abends meistens erst um acht oder neun Uhr zu Hause. Am Wochenende ist er auch oft für die Firma unterwegs. Und meine Mutter hat vor einigen Jahren mit einer Freundin zusammen eine Boutique aufgemacht. Sie ist zwar mehr zu Hause als er, aber dann oft beschäftigt mit Abrechnungen, Bestellungen und anderem Krams.«
Larissa sah mich mitfühlend an. »War das schon immer so?«
Ich überlegte. »Früher nicht. Da machten wir am Wochenende häufig gemeinsame Ausflüge oder mein Vater nahm mich nachmittags mit in die Stadt. Damals musste er noch nicht so lange arbeiten. Heute habe ich manchmal den Eindruck, sie sind ganz froh, dass ich ihnen nicht zur Last falle und sie die Dinge tun können, die sie gerne machen.«
Es war das erste Mal, dass ich mit jemandem so über meine Eltern redete. Als ich die Worte aussprach, verspürte ich einen
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