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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Ehemann für Tochter Emilie eingefangen hatte. Fräulein Emilie konnte man im günstigsten Fall als eine außergewöhnliche Erscheinung bezeichnen; zum Zeitpunkt ihrer Verehelichung war sie bereits fünfundzwanzig, trug Brille und war oft unpässlich.
    Obwohl sich zwischen der mühsamen Verheiratung seiner schwächlichen Tochter und dem anhaltend schmerzhaften Lumbago des Patienten Sternberg keine überzeugende Parallele ziehen ließ, empfahl Doktor Meyerbeer eine Kur im »schönen Bad Ems, wo auch unser seliger Kaiser Wilhelm I. und die Hohe Frau jahrelang zur Kur waren«.
    Johann Isidor spürte ein unangenehmes Brennen auf der Stirn. Wie meistens, wusste er wesentlich mehr, als er zu sagen beabsichtigte. Er wusste beispielsweise, dass sich in Ems, obwohl es immer noch den Ruf hatte, ein kosmopolitisches Bad zu sein, seit dem Krieg von 1870 eine latente Fremdenfeindlichkeit breitgemacht hatte. Vorurteile und Ablehnung galten längst nicht mehr nur den paar französischen Kurgästen, die weiterhin nach Bad Ems kamen. Die katholischen und jüdischen wurden ebenfalls nicht gern gesehen. In einem Saisonbericht hatte ein Badekommissar gerügt, die Juden würden an den öffentlichen Plätzen einen »widerwärtigen Raum einnehmen«.
    »Nicht nach Bad Ems«, sagte Johann Isidor in der Praxis von Doktor Meyerbeer.
    »Gehen Sie nach Baden-Baden«, empfahl Bankier Weidenfeld, als er Sternberg im Café Bräutigam traf und das Gespräch zufällig auf die anstehende Kur kam. »Dort grüßt man Sie freundlich, auch wenn Sie Levy oder Cohn heißen.« Mit seinem Ratschlag erwies sich der in Frankfurt stadtbekannte Bankier nicht nur als ein Kenner der deutschen Kurbäder, er hatte mit einem einzigen Satz auch bestätigt, dass das immer wieder aufkommende Gerücht über seine Abstammung stimmte: Der von allen hofierte Bankier stammte aus einer jüdischen Familie. Trotz seines Übertritts zum Protestantismus und den regelmäßigen Spenden an seine Kirchengemeinde gelang es ihm nie, anhaltend zu verdrängen, dass er seit der Hochzeit den Familiennamen seiner Ehefrau führte und dass sein Großvater mütterlicherseits Nathan Levy geheißen und Kurzwaren an die Landbevölkerung verkauft hatte.
    Johann Isidor erinnerte sich noch nach Jahren an das Gespräch. Nicht nur weil Weidenfeld, der als äußerst zurückhaltend galt, ihm spontan vertraut hatte. Der Bankier hatte Johann Isidor ein für alle Mal klargemacht, dass es auch jenen, die sich neue Rudel suchen, nicht gelingt, sich von ihren Wurzeln zu befreien. »Baden-Baden ist weltoffen«, sagte Weidenfeld, »das ist schon ein Teil des Kurerfolgs.« Aus dem gleichen Grund empfahl er das Badhotel zum Hirsch. »Gediegen, aber nicht pompös. Der Hirsch hat wirklich Tradition. Und einen guten Koch.«
    Frau Betsy war hingerissen, als sie erfuhr, wer Baden-Baden empfohlen hatte. Sie errötete wie ein Backfisch. Noch während ihr Mann sprach, begann sie zu überlegen, welche Stücke ihrer Garderobe sich für den Aufenthalt in Deutschlands elegantestem Bad eignen würden. Allerdings war sie der Meinung, Europas Könige, der Hochadel und die russischen Aristokraten würden immer noch nach Baden-Baden strömen, im Spielkasino mit Goldstücken ihr Glück versuchen und sich bei Tagesanbruch im Kurpark erschießen, weil sie ihr Vermögen verspielt hatten.
    »Oder bei Vollmond«, sekundierte Johann Isidor. »Einige von den armen Teufeln«, lächelte er, »laufen sogar nackt herum, weil sie ihr letztes Hemd verspielt haben. Ach, meine süße Betsy, Gott erhalte dir dein romantisches Gemüt. In Baden-Baden gibt es überhaupt keine Spielbank mehr. Wilhelm I. hat 1872 alle deutschen Spielbanken schließen lassen. Jetzt ist Baden-Baden wieder ganz moralisch. Und auch wieder ein Dorf, hab ich mir sagen lassen. Du wirst auch ohne Nerzcape zum Kurkonzert gelassen.«
    Noch gab sich Madame Sternberg nicht geschlagen. Zu groß war ihr Bedürfnis, in Baden-Baden zu repräsentieren und zu Hause ihren anspruchsvollen Freundinnen zu erzählen, wie sie dies getan hätte. Bei denen informierte sie sich umgehend und brachte dann zum Verdruss ihres Manns das Hotel Messmer ins Gespräch. Dort hatte, so erfuhr er, Wilhelm I. während seiner vielen Baden-Badener Aufenthalte zu residieren gepflegt. »Nur«, berichtete Betsy, »haben die sich, während er da gewohnt hat, Maison Messmer genannt. Der Kaiser durfte ja nicht in einem Hotel wohnen.«
    »Der Hirsch wird sich für den Sohn eines jüdischen Viehhändlers aus Schotten

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