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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Sternberg’schen Keller und erwiderte mit einem Lächeln, das Frau Minchen nicht deuten konnte: »Dem fleißigen Hamster schadet der Winter nicht.«
    Hessens Störche hatten kein Vertrauen in die linden Lüfte des deutschen Altweibersommers; sie reisten frühzeitig nach Afrika ab. Drei Prachtvögel wurden im Frankfurter Nordend gesichtet. Die Mauersegler waren schon fort, und in Victorias Klasse sangen die Kinder nicht mehr »Alle Vögel sind schon da«, sondern »Kein schöner Land in dieser Zeit als hier das unsre weit und breit«. In den Vorgärten blühten die Astern purpurrot und violett, Dahlien prunkten mit schweren Köpfen, an den Zäunen standen üppige Sonnenblumen. Im Ostpark wurden die Brombeeren reif, die niemand gepflanzt hatte, und in den Seckbacher Gärten die liebevoll umhegten Zwetschen und Quitten. Die Kinder wurden mit dem Bembel in die Wirtschaft geschickt. Der erste »Süße« war schon da; es hieß, die Gastwirte würden ihn und später den Ebbelwein zum gleichen Preis abgeben wie im Frieden.
    Noch fielen nur einzelne Blätter zu Boden, noch stimmte der Herbst nicht melancholisch. Er war, genau wie im Frieden, die Jahreszeit der stillen Genießer. Clara musste gleich zu Beginn des neuen Schuljahrs Friedrich Hebbels Gedicht »Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!« lernen. Sie kam zeternd nach Hause. Weil sie ihrer Deutschlehrerin ein getrübtes Verhältnis zur Wirklichkeit und mangelnde Kriegsbegeisterung unterstellte, geriet sie beim Mittagessen in Streit mit ihrer Mutter und hatte auch noch den Schneid zu sagen: »Du wirst immer empfindlicher.«
    Auf dem Balkon im ersten Stock blühten nur noch ein paar von den Wicken, die die Sehnsucht des Hausherrn nach den Bauerngärten seiner Kindheit stillten. Victorias Tränende Herzen in dem von Otto bemalten Tontopf waren weder von Sturm noch Frost bedroht. Nachts schützte ein Tuch aus grüner Gaze die Zauberblumen vor jedem Windhauch, bei Tag Josephas Fürsorge sie vor dem Austrocknen. Gedüngt wurden sie mit Kaffeesatz und geheimnisvollen Segenssprüchen aus einem Zauberbuch, das der Tante gehörte und von dem die Mutter nicht wissen durfte, dass Jettchen Victoria daraus vorlas. An besonnten Tagen standen nun immer zwei Käfige auf dem Balkon. Graupapagei Otto und der zutrauliche Kanarienvogel kamen so gut miteinander aus wie die Zwillinge.
    An den Wochentagen zeugten allein die vielen Zeitungen vom Krieg und von deutscher Opferbereitschaft. Betsy verteilte die Druckerzeugnisse auf die beiden Couchtische und klagte, dass sie die Unordnung störe; wer mit dem Hausherrn ins Gespräch kommen wollte, fand ihn fast immer hinter einer aufgeschlagenen Zeitung. Zum Sonntag aber sprach seine Frau ein Machtwort. Resolut schaffte sie alle Berichte von Heldenmut und Siegerfortüne ins Herrenzimmer und hielt Johann Isidor vor, dass selbst Gott bei der Erschaffung der Welt einen Ruhetag gebraucht hatte.
    Bei den Sternbergs duftete es am Sonntagnachmittag nach Harmonie und Frieden, nach Bohnenkaffee und frischem Gebäck. Die Zuckerstücke lagen in der silbernen Dose der Pforzheimer Großmutter, daneben die versilberte Zuckerzange, das Hochzeitsgeschenk einer unvermögenden Cousine. Auf dem roten Teewagen im Esszimmer standen die Sammeltassen mit dem Efeudekor und dem breiten Goldrand sowie die dreistufige silberne Etagere mit Barockfüßen. Allerdings war das Prachtstück nicht mehr mit Petitfours und Schokoladeneclairs von einem der besten Frankfurter Konditoren bestückt, aber immerhin mit wohl gelungenen Nusshörnchen und kleinen, runden Apfelbroten. Die waren mit Zimt, Rosinen und einem Schuss Rum gebacken, was der sparsame Hausherr nicht wissen durfte, und mit einer Glasur aus Puderzucker und Kakaopulver überzogen.
    Zwar stand selbst in den Zeitschriften für die feine Dame geschrieben, es wäre gar nicht gesund, jeden Sonntag Kuchen zu essen, und die Frauen und Kinder sollten, wenn sie Verzicht leisteten, es gern tun und dabei an die Soldaten an der Front denken, die dies ja auch tun müssten. Doch gerade weil sie an einen Soldaten dachte, knetete Josepha jeden Samstag ihren Teig und ließ die Rosinen in Rum und Rosenwasser quellen. Durch keinen Hinweis auf den Krieg war die widerspenstige Herrin des Herdes von dem Gedanken abzubringen, Kanonier Otto Sternberg könnte unerwartet Urlaub von der Front bekommen und plötzlich vor der Tür stehen, und es wäre ein Sonntag und kein Kuchen im Haus.
    »Soldaten stehen nicht plötzlich vor der Tür«, hatte

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