01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
gewesen, nicht nur oberflächliche Bekannte. Über die gemütlichen Teestunden mit dem Major wenigstens hatte Jasmine gesprochen. »Ich weiß nicht, ob man von >Unterhaltung< sprechen kann«, hatte sie lachend gesagt. »Eigentlich sitzen wir nur in der Sonne wie zwei alte Hunde.« Kincaid riß sich zusammen. »Bitte, kommen Sie doch herein, Major.«
Er führte den Major ins Zimmer und wies vage zu einem Sessel, doch der Mann blieb stehen, blickte ihn an und wartete schweigend. Seine Augen blitzten in einem überraschend intensiven hellen Blau.
»Wollen Sie es mir nicht sagen?« fragte er schließlich.
Kincaid seufzte. »Als heute morgen die Pflegerin kam, machte Jasmine nicht auf. Ich kam zufällig vorbei und habe dann das Schloß mit einer Büroklammer geknackt. Wir fanden sie in ihrem Bett. Sie schien ganz friedlich im Schlaf gestorben zu sein.«
Der Major nickte stumm, und ein Ausdruck flog über sein Gesicht, den Kincaid nicht recht deuten konnte. »Eine gute Frau, trotz...« Er brach ab und sah Kincaid an. »Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.« Das rollende schottische »R«, das man sonst kaum noch wahrnahm, machte sich stärker bemerkbar. »Dann kümmern Sie sich um alles?«
Wieder, dachte Kincaid seltsam berührt, wurde ihm da eine Vertrautheit mit Jasmine unterstellt, die gar nicht bestanden hatte. »Vorläufig zumindest, ja. Heute abend kommt ihr Bruder.«
Der Major nickte nur und wandte sich wieder zur Tür. »Dann will ich Sie jetzt nicht länger stören.«
»Major?« hielt Kincaid ihn auf, als er schon an der Tür war. »Hat Jasmine Ihnen je von einem Bruder erzählt?«
Der Major, der gerade dabei war, seinen Hut auf das schüttere Haar zu setzen, das sorgsam seitlich gebürstet seinen Schädel bedeckte, drehte sich herum. Nachdenklich zupfte er an seinem grauen Schnauzer. »Ah... nein, ich kann mich nicht erinnern. Sie hat überhaupt nicht viel geredet. Höchst bemerkenswert für eine Frau.«
Nachdem der Major gegangen war, schloß Kincaid die Tür und lehnte sich an das glatte Holz. Nicht einmal sein übernächtigter Zustand und die Arbeit an einem besonders abscheulichen Fall konnten diese Bleischwere in seinen Gliedern und die Benommenheit in seinem Kopf erklären. Schock, vermutete er, Abwehr von Schmerz.
Er legte die Sicherheitskette vor und nahm im Vorbeigehen den Telefonhörer von der Gabel. Seine Kleider abwerfend, taumelte er ins Schlafzimmer. Fliegen flogen tief brummend zum offenen Fenster herein und wieder hinaus. Ein Sonnenstrahl lag über dem Bett, so greifbar wie ein Stein. Kincaid ließ sich hineinfallen und schlief, noch ehe sein Gesicht das zerknitterte Laken berührte.
Als die Sonne unterging, fiel die Temperatur rasch, und Kincaid erwachte vom kühlen Luftzug auf seiner Haut. Das Stück südlichen Himmels, das er durch das immer noch geöffnete Fenster sehen konnte, war dunkelgrau, mit einem rosaroten Schimmer an den Rändern. Er wälzte sich auf die Seite und sah auf den Wecker, fluchte und sprang aus dem Bett, um zu duschen.
Fünfzehn Minuten später, er war in Jeans und Pullover und kämmte sich gerade das feuchte Haar, klingelte es an der Tür. Alle seine Erwartungen, sich einer männlichen Ausgabe Jasmine Dents gegenüberzusehen, wurden auf einen Schlag zunichte gemacht, als er die Tür öffnete.
»Mr. Kincaid?« Der Mann sprach zögernd, als fürchtete er, zurückgewiesen zu werden.
Kincaid musterte ihn. Er hatte ein ovales, fein gemeißeltes Gesicht, aber hier endete auch schon die Ähnlichkeit mit Jasmine. Theo Dents zierlicher Körper war mit einer extra Schicht Fett gepolstert, das lockige braune Haar umgab seinen Kopf wie ein Heiligenschein, und die Augen hinter den runden Brillengläsern, die an John Lennon erinnerten, waren nicht braun, sondern blau.
»Mr. Dent.« Kincaid bot ihm die Hand, und Theo schüttelte sie einmal kurz. Seine Hand war feucht, und Kincaid hatte den Eindruck, daß sie zitterte. »Haben Sie einen Schlüssel zur Wohnung Ihrer Schwester, Mr. Dent?«
Theo schüttelte den Kopf. »Nein.«
Kincaid überlegte einen Moment. »Dann kommen Sie doch einen Moment herein, während ich mir etwas überlege.« Er ließ Theo Dent auf den Fersen wippend im Flur stehen, während er die Kommodenschublade im Schlafzimmer durchwühlte. Als er noch beim Einbruchsdezernat gearbeitet hatte, hatte einer seiner Stammkunden ihm ein Werkzeug geschenkt, das zu gebrauchen er bisher keine
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