01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
Spülwassergeschmack zu nehmen, »wenn Sie die Wahrheit gesagt haben, dann haben Sie genau das Richtige getan. Duncan möchte nur sichergehen, daß es wirklich Jasmines eigener Entschluß war.«
Margaret schüttelte mehrmals den Kopf. »Ich kann es immer noch nicht glauben, daß sie mich belogen haben soll. Ich dachte, ich hätte es inzwischen akzeptiert, aber das stimmt nicht. An dem Tag... ich war so erleichtert, als sie sagte, sie hätte es sich anders überlegt.« Sie sah Gemma an. »Glauben Sie, ich habe mir nur vorgemacht, daß es ihr Ernst war? Weil ich es eben gern hören wollte?«
Aus dem Augenwinkel sah Gemma die Kellnerin mit zwei zerfledderten Plastikspeisekarten kommen. Sie hob die Hand und bedeutete der Frau zu gehen, ohne den Blick von Margarets Gesicht zu wenden. »Wenn Sie solche Angst hatten, warum haben Sie dann überhaupt eingewilligt, ihr zu helfen?«
»Ach, anfangs war das etwas anderes. Ich habe mich wie eine Auserwählte gefühlt.« Margaret setzte sich etwas gerader und lächelte zum erstenmal. »Daß ein Mensch seine letzten Minuten auf dieser Erde mit mir verbringen wollte, daß er solches Vertrauen zu mir hatte - und ausgerechnet Jasmine! Sie war anderen gegenüber immer sehr zurückhaltend. Niemand hatte mir je solches Vertrauen entgegengebracht. Verstehen Sie?«
Gemma nickte nur.
»Und außerdem war es aufregend. Das Planen und Organisieren. Und daß ich ein Geheimnis hatte, von dem kein Mensch etwas wußte. Ein Geheimnis über Leben und Tod.« Margaret lächelte wieder, als sie sich jener Zeit erinnerte. »Manchmal hab’ ich mir vorgestellt, ich würde es allen im Büro sagen, aber ich wußte natürlich, daß ich das nicht tun konnte. Es war viel zu persönlich, nur zwischen Jasmine und mir.« Sie trank einen Schluck Tee und zog ein Gesicht wegen des bitteren Geschmacks. Zum erstenmal blickte sie in ihre Tasse.
»Und dann?«
Margaret zuckte die Achseln. »Der Tag kam immer näher. Ich bekam es mit der Angst zu tun.« Sie warf Gemma einen flehentlichen Blick zu. »Anfangs sah sie so gut aus. Ihr Haar war nach den Behandlungen wieder nachgewachsen. Ich wußte, daß sie leicht müde wurde, aber eigentlich wirkte sie gar nicht wie eine Kranke. Dann wurde sie immer dünner. Und jeden Tag wurde sie ein bißchen schwächer. Jeden Tag bat sie mich irgendeine Kleinigkeit für sie zu tun, die sie am Vortag noch selbst hatte tun können. Dann wurde der Brustkatheter gelegt. Sie wurde auf flüssiges Morphium gesetzt, auch wenn sie niemals über die Schmerzen sprach.«
Diesmal machte Gemma die Kellnerin mit einem Blick auf sich aufmerksam und sagte beinahe lautlos: »Heißes Wasser bitte.« Das Café begann sich zu leeren, und der Lärm hatte soweit abgenommen, daß sie Margarets leise Stimme ohne Anstrengung hören konnte. Als die dampfende Kanne gebracht wurde, goß Gemma ohne zu fragen heißes Wasser in Margarets zur Hälfte geleerte Tasse und lehnte sich dann abwartend wieder zurück.
»Sie hat nie einen Zeitpunkt festgelegt«!, fuhr Margaret fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. Sie hielt den Blick auf ihre Hände gerichtet, die die heiße Teetasse umschlossen hielten. »Langsam begann mir davor zu grauen - jeden Tag, wenn ich sie besuchte, dachte ich, ist das wohl heute der Tag? Wird sie heute sagen, ich bin bereit, Margaret, tun wir es? Ich konnte kaum noch essen. Mir war dauernd übel. Ich fing an, darüber nachzudenken, wie es sein würde, wenn ich ihr die Plastiktüte über den Kopf ziehen mußte, weil das Morphium nicht wirkte.
Eines Tages dann, als ich kam, wirkte sie sehr ruhig, gar nicht so rastlos wie sonst. Ich dachte, sie hätte vielleicht die Morphiumdosis erhöht. Dann sagte sie auf einmal, >Ich werde meinen fünfzigsten Geburtstag nicht mehr erleben, Meg. Es hat keinen Sinn.< Und da wußte ich, daß sie ihren Entschluß gefaßt hatte.«
Gemma trank einen Schluck von ihrem verdünnten Tee und wartete. Als Margaret sich in Schweigen hüllte, fragte sie behutsam: »Hat sie Ihnen ein festes Datum genannt?«
»Den Tag vor ihrem Geburtstag. Ich habe nachts wachgelegen und mir vorgestellt, wie es sein würde, wenn sie stirbt. Wie sie aussehen würde. Woran ich merken würde, daß es vorbei ist. Ich konnte es nicht aushalten. Und ich konnte es ihr nicht sagen.«
Als Margaret aufblickte, fand Gemma ihre Augen so gerötet und verschwollen, als hätte sie tagelang geweint. »Aber Sie haben es ihr dann doch
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