01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
amerikanische Impressionisten.
Sebastians Bücher, eine bunte Mischung, standen in einem einfachen Fichtenholzregal, einziges sichtbares Relikt aus der Kinderzeit. Klassische Kinderbücher, Stapel von Motorradzeitschriften, Stephen King, Spionageromane, die neuesten Techno-Thriller. Sebastian hatte offenbar eine Vorliebe für das Verwickelte und Hinterhältige gehabt. Auf dem obersten Bord entdeckte Kincaid eine alte Ausgabe der gesammelten Werke von Sherlock Holmes und die Romane Jane Austens.
Sebastians Kleider hingen ordentlich nach Art und Farbe sortiert im Schrank. Der Anblick dieser Kleidungsstücke, die darauf warteten, daß ihr Besitzer unter ihnen wählte, sich für das eine entschied und das andere verwarf, erfüllte Kincaid mit einer tiefen Traurigkeit.
Er fand die Akten ganz hinten im Schrank, sorgfältig in einem Karton mit der Aufschrift »Versicherung« verstaut.
7
Kincaid drückte Mrs. Wade einen Moment die kleine Hand und dankte ihr so herzlich, wie es ihm möglich war. Sie war innerlich wieder davongegangen, während er oben gewesen war, und hatte sichtlich Schwierigkeiten, ihren Blick auf ihn einzustellen. Er nahm wahr, daß sie schwach nach Kaugummi und frisch geschnittenem Tabak roch, dem Aroma des Tabakladens.
»Was ist mir Ihrem Laden, Mrs. Wade? Haben Sie jemanden, der Sie vertreten kann?«
»Ich habe ihn fürs erste geschlossen. Ich konnte ihn nicht offenlassen. Ich wollte ihn immer Sebastian hinterlassen, wissen Sie. Er hätteja gar nicht hinter der Theke zu stehen brauchen, ich meine, dazu war er viel zu begabt, aber er hätte jemanden einstellen können und trotzdem noch ein nettes kleines Einkommen gehabt. Ich hab’ das ganze Versicherungsgeld von seinem Vater in den Laden gesteckt. Er hätte ihn einmal bekommen sollen.«
Kincaid tätschelte die schlaffe Hand und suchte nach einem Wort des Trostes. »Ich bin sicher, er hat das zu würdigen gewußt, Mrs. Wade. Es tut mir leid.«
Der Messingklopfer blitzte hell, als er die Tür hinter sich zuzog. Es war ein schöner, etwas windiger Morgen geworden. Ein Stück gelbes Papier flatterte unter dem Scheibenwischer des Midget wie ein kleiner Schmetterling. Er hatte sich einen Strafzettel für falsches Parken gehot - der zuständige Verkehrspolizist war offensichtlich ein wachsamer Typ.
Kincaid steckte den Strafzettel in seine Brieftasche. Er klappte das Verdeck des Midget herunter, schob sich hinter das Steuer und blieb eine Weile nachdenklich sitzen. Was sollte er jetzt mit diesen unerwarteten Informationen anfangen? Ignorieren konnte er sie auf keinen Fall. Warum, zum Teufel, hatten nicht Nashs Leute das Zimmer durchsucht? Es waren fast sechsunddreißig Stunden vergangen, seit Sebastian gefunden worden war, und Nash hatte lediglich eine Polizeibeamtin zu seiner Mutter geschickt, um dieser die Nachricht schonend beibringen zu lassen; er hatte die Mutter noch nicht einmal verhört. Ein Glück vielleicht für die Mutter; er jedenfalls konnte sich nicht vorstellen, daß Nash sich in irgendeiner Weise bemüht hätte, ihren Schmerz zu lindern.
Dennoch, Nash mußte informiert werden, daran war nichts zu ändern. Und darum brauchte er jetzt dringend Hilfe. Er ließ den Motor an und griff zum Autotelefon.
Kincaid schätzte sich glücklich, einen Vorgesetzten wie Chief Superintendent Denis Childs zu haben. Childs war ein intelligenter Mann, der Kincaid als Mensch sympathisch war und den er beruflich sehr schätzte - und Kincaid wußte, daß er genauso leicht einen Vorgesetzten wie Nash hätte erwischen können, auch wenn er es bevorzugte zu glauben, daß ein Polizeibeamter von Nashs Kaliber bei New Scotland Yard über den Rang eines Constables nie hinausgekommen wäre.
Denis Childs war ein wuchtiger Mann, neben dem Kincaid in seiner ganzen schlanken Größe beinahe zierlich wirkte. Mit seiner olivfarbenen Haut und dem freundlich unergründlichen Gesicht erinnerte er Kincaid manchmal an einen orientalischen Potentaten.
»Sir«, sagte Kincaid nach den üblichen Begrüßungsfloskeln, »ich habe ein kleines Problem.«
»Ach was, tatsächlich?« meinte Childs gleichmütig, so wenig wie immer bereit, sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Und wie klein ist es?«
»Hm.« Kincaid zögerte. »Die Situation ist etwas knifflig. Gestern morgen habe ich den stellvertretenden Geschäftsführer des Hotels tot im Swimmingpool gefunden. Er ist an einem Stromschlag gestorben. Der
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