01_Der Fall Jane Eyre
sich an den Tisch, wo
Müller scheinbar desinteressiert eine Zigarette rauchte. Ich lehnte
mich gegen die Wand und harrte der Dinge, die da kommen mochten.
»Keine Angst, der holt mich hier raus«, sagte Müller langsam und
verzog den Mund zu einem seltenen Lächeln.
»Das glaube ich kaum«, meinte Schitt. »Die Swindoner SpecOpsZentrale ist im Augenblick von mehr SO-9-Agenten und SEK-Leuten
umstellt, als Sie in einem Monat zählen können. Nicht mal ein Irrer
wie Hades würde versuchen, hier reinzukommen.«
Das Lächeln wich von Müllers Lippen.
»SO-9 ist die beste Antiterroreinheit der Welt«, fuhr Schitt fort.
»Keine Angst, wir kriegen ihn. Die Frage ist nur, wann. Und wenn Sie
uns helfen, stehen Sie vor Gericht vielleicht gar nicht so schlecht da.«
Doch davon ließ sich Müller nicht beirren.
»Und weil Ihre SO-9-Agenten die besten der Welt sind, hat mich ein
fünfundsiebzigjähriger LitAg festgenommen?«
- 268 -
Darauf wußte Jack Schitt keine Antwort. Müller wandte sich an
mich.
»Und wenn Ihre SO-9 tatsächlich so eine heiße Nummer ist, warum
ist es dann ausgerechnet der jungen Dame hier gelungen, Hades in die
Enge zu treiben?«
»Ich hatte Glück«, antwortete ich und setzte hinzu: »Wieso hat
Acheron Martin Chuzzlewit nicht umgebracht? Leere Drohungen sind
doch sonst nicht sein Stil.«
»Wohl wahr«, bestätigte Müller. »Wohl wahr.«
»Beantworten Sie die Frage, Müller«, fuhr Schitt ihn an. »Ich kann
sehr ungemütlich werden.«
Müller lächelte ihn an. »Nicht halb so ungemütlich wie Acheron. Im
Who’s Who des Verbrechens gibt er als Hobbys Folter und Floristik
an.«
»Wollen Sie im Knast versauern?« fragte Hicks, um auch etwas zum
Gespräch beizutragen. »Entweder Sie machen sich schon mal auf
fünfmal lebenslänglich gefaßt. Oder Sie marschieren in ein paar
Minuten als freier Mann hier raus. Was ist Ihnen lieber?«
»Sie können machen, was Sie wollen, Officers. Von mir erfahren
Sie kein Sterbenswörtchen. Hades holt mich raus, egal wie.«
Müller verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. Eine Zeitlang
herrschte Schweigen. Schließlich beugte Schitt sich vor und stellte den
Casettenrecorder ab. Er zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche
und hängte es über die Videokamera in der Ecke des Verhörraums.
Hicks und ich wechselten nervöse Blicke. Müller schaute zu, wirkte
jedoch nicht sonderlich beunruhigt.
»Also, noch mal von vorn«, sagte Schitt, zog seine Automatik und
richtete sie auf Müllers Schulter. »Wo steckt Hades?«
Müller sah ihn an. »Entweder Sie erledigen mich jetzt, oder Hades
erledigt mich, wenn er dahinterkommt, daß ich gesungen habe. Tot
bin ich so oder so, und Ihre Methode ist wahrscheinlich nicht
annähernd so schmerzhaft wie Acherons. Ich habe ihn in Aktion
gesehen. Sie haben ja keine Ahnung, wozu der Mann fähig ist.«
- 269 -
»Ich schon«, sagte ich langsam.
Schitt entsicherte die Automatik. »Ich zähle bis drei.«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen …!«
»Eins.«
»Er würde mich umbringen.«
»Zwei.«
Das war mein Stichwort. »Wir könnten Sie in Schutzgewahrsam
nehmen.«
»Schutz? Vor ihm?« rief Müller. »Daß ich nicht lache!«
»Drei!«
Müller schloß die Augen und begann zu zittern. Schitt ließ die
Waffe sinken. So kamen wir nicht weiter. Plötzlich hatte ich eine Idee.
»Er hat das Manuskript gar nicht mehr, nicht wahr?«
Müller öffnete ein Auge und sah mich an. Genau darauf hatte ich
gewartet.
»Mycroft hat es vernichtet, nicht?« fragte ich weiter. Ich versuchte,
wie mein Onkel zu denken – offenbar mit Erfolg.
»Stimmt das?« wollte Jack Schitt wissen. Müller schwieg.
»Dann braucht er jetzt vermutlich dringend eine Alternative«, gab
Hicks zu bedenken.
»Es gibt Tausende von Originalmanuskripten«, murmelte Schitt.
»Und die können wir unmöglich alle bewachen. Hinter welchem ist er
her?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, stotterte Müller; seine
Entschlossenheit ging langsam, aber sicher zum Teufel. »Er würde
mich umbringen.«
»Er wird Sie mit Sicherheit umbringen, wenn er erfährt, daß Sie uns
die Geschichte mit Mycroft und dem Manuskript verraten haben«,
sagte ich mit ruhiger Stimme.
- 270 -
»Aber das habe ich doch gar nicht …!«
»Woher soll er das wissen? Wir können Sie schützen, Müller, aber
wir müssen Hades fassen. Wo ist er?«
Müller blickte von einem zum anderen.
»Schutzgewahrsam?« stammelte er. »Dazu werden Sie eine
Weitere Kostenlose Bücher