01_Der Fall Jane Eyre
verdächtigen Päckchen nach Hause
gekommen. Zugegeben, das ist reine Spekulation, aber seit drei Jahren
der erste Hinweis darauf, wo er sich verborgen halten könnte. Es wird
allmählich Zeit, daß er aus seinem Versteck kommt.«
»Hat er ein Lösegeld für Chuzzlewit verlangt?« fragte ich.
»Nein, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Die Sache liegt
womöglich komplizierter, als wir denken. Unser Mann hat einen
geschätzten IQ von 180, da ist eine simple Erpressung vermutlich
unter seiner Würde.«
Snood kam herein, bezog ein wenig wacklig hinter dem Fernglas
Stellung, setzte die Kopfhörer auf und schob den Stecker in die
Buchse. Tamworth nahm seinen Schlüssel und reichte mir ein Buch.
»Ich muß mich mit einem Kollegen von SO-4 treffen. Ich bin in
einer guten Stunde wieder da. Wenn was passiert, piepen Sie mich
einfach an. Meine Nummer ist auf der Eins gespeichert. Wenn Sie die
Langeweile überkommt, werfen Sie mal da einen Blick rein.«
Ich betrachtete das Buch, das er mir in die Hand gedrückt hatte. Es
war eine in rotes Leder gebundene Ausgabe von Charlotte Brontës
Jane Eyre .
»Wer hat Ihnen das gesagt?« fragte ich spitz.
»Wer hat mir was gesagt?« fragte Tamworth sichtlich erstaunt
zurück.
»Na ja, ich dachte … ich habe dieses Buch oft gelesen. Als junges
Mädchen. Ich kenne es in-und auswendig.«
»Hat Ihnen der Schluß gefallen?«
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Ich überlegte einen Augenblick. Das unbefriedigende Ende des
Romans sorgte in der Brontë-Gemeinde seit jeher für Kopfschütteln
und Unverständnis. Man war sich einig, daß das Buch wesentlich
besser gewesen wäre, wenn Jane nach Thornfield Hall
zurückgefunden und Rochester geheiratet hätte.
»Niemandem gefällt der Schluß, Tamworth. Aber davon abgesehen
hat es mehr als genug zu bieten.«
»Dann kann eine neuerliche Lektüre ja nicht schaden, oder?«
Es klopfte an der Tür. Tamworth öffnete, und ein Mann, der keinen
Hals, dafür aber um so kräftigere Schultern hatte, kam herein.
»Auf die Minute!« sagte Tamworth mit einem Blick auf seine Uhr.
»Thursday Next, das ist Buckett. Er wird uns vorläufig zur Seite
stehen, bis ich einen passenden Ersatz gefunden habe.«
Sprach’s und verschwand.
Buckett und ich gaben uns die Hand. Er lächelte gequält, als ob ihm
dieser Einsatz nicht behagte. Er sagte, er freue sich, mich
kennenzulernen, und plauderte dann mit Snood über den Ausgang
eines Pferderennens.
Ich trommelte mit den Fingerspitzen auf das Exemplar von Jane
Eyre , das Tamworth mir gegeben hatte, und verstaute es in meiner
Brusttasche. Ich sammelte die leeren Kaffeetassen ein und stellte sie
in das angeschlagene Emailbecken in der Küche. Plötzlich stand
Buckett in der Tür.
»Tamworth hat gesagt, Sie wär’n eine LitAg.«
»Wenn Tamworth das sagt, muß es wohl stimmen.«
»Ich wollte auch mal zu den LitAgs.«
»Ach ja?« machte ich und sah nach, ob es im Kühlschrank auch
etwas gab, das sein Haltbarkeitsdatum noch nicht um mindestens ein
Jahr überschritten hatte.
»Ja. Aber es hieß, man müßte das eine oder andere Buch gelesen
haben.«
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»Das kann nicht schaden.«
Als es an der Tür klopfte, wanderte Bucketts Hand automatisch zu
seiner Waffe. Er war nervöser, als ich gedacht hatte.
»Nur keine Panik, Buckett. Ich mach das schon.«
Er ging mit mir zur Tür und entsicherte seine Pistole. Ich sah ihn
fragend an, und er nickte.
»Wer ist da?« fragte ich, ohne die Tür zu öffnen.
»Hallo!« ertönte eine Stimme. »Mein Name ist Edmund Capillary.
Haben Sie sich nicht auch schon einmal gefragt, ob Shakespeares
wunderbare Stücke auch tatsächlich von ihm stammen?«
Buckett und ich atmeten erleichtert auf. Er sicherte seine Automatik
wieder und brummte halblaut: »Scheiß Baconier!«
»Ganz ruhig«, erwiderte ich, »das ist schließlich nicht verboten.«
»Leider.«
»Pssst.«
Ich öffnete die Tür so weit, wie es die vorgelegte Kette zuließ und
sah mich einem kleinen Mann im ausgebeulten Cordanzug gegenüber.
Er hielt mir einen zerknitterten Ausweis unter die Nase und lüftete
nervös lächelnd den Hut. Die Baconier waren zwar reichlich bekloppt,
aber im großen und ganzen harmlos. Ihr Lebenszweck bestand darin,
den Beweis zu führen, daß nicht Will Shakespeare, sondern Francis
Bacon die bedeutendsten Dramen der englischen Sprache verfaßt
habe. Und weil sie glaubten, daß man Bacon die gebührende
Anerkennung versagte, kämpften sie unermüdlich für
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