01_Der Fall Jane Eyre
aus.
»Glück muß der Mensch haben.«
»Ansichtssache. Und Sie? Wie sind Sie an Tamworth geraten?«
»Ich bin eigentlich bei der TerrorBekämpfung. SO-9. Aber
Tamworth brauchte dringend Personal. Der Säbelhieb, dem er seine
Narbe zu verdanken hat, galt eigentlich mir. Deshalb war ich ihm was
schuldig.«
Er senkte den Blick und nestelte verlegen an seiner Krawatte. Auf
der Suche nach einem Geschirrtuch lugte ich vorsichtig in einen
Küchenschrank, machte eine unappetitliche Entdeckung und schlug
die Tür rasch wieder zu.
Buckett zog seine Brieftasche hervor und zeigte mir ein Foto von
einem sabbernden Säugling, der sich in nichts von anderen sabbernden
Säuglingen unterschied. »Ich bin verheiratet, und Tamworth weiß, daß
solche Einsätze für mich tabu sind; ich trage schließlich
Verantwortung, wissen Sie.«
»Hübsches Baby.«
»Danke.« Er steckte das Bild wieder ein. »Sind Sie verheiratet?«
»Es hat nicht sollen sein«, antwortete ich und füllte den Teekessel
mit Wasser. Buckett nickte und holte eine Rennzeitung hervor.
»Setzen Sie auch ab und zu ein paar Scheinchen auf die Hottehüs? Ich
habe einen heißen Tip für Malabar.«
»Nein. Tut mir leid.«
Buckett nickte. Anscheinend war ihm der Gesprächsstoff
ausgegangen.
- 50 -
Kurz darauf servierte ich Kaffee. Snood und Buckett erörterten den
Ausgang des Cheltenham Gold Stakes Handicap.
»Sie wissen also, wie er aussieht, Miss Next?« fragte der alte Snood,
ohne von seinem Fernglas aufzublicken.
»Er war einer meiner Dozenten an der Uni. Er ist allerdings nicht
ganz einfach zu beschreiben.«
»Schlank?«
»Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, schon.«
»Groß?«
»Mindestens einsfünfundneunzig.«
»Zurückgekämmtes schwarzes Haar und graumelierte Schläfen?«
Buckett und ich sahen uns fragend an.
»Ja …?«
»Dann muß er das wohl sein, Thursday.«
Ich riß den Stecker aus der Kopfhörerbuchse.
»… Acheron!« drang Styx’ Stimme aus dem Lautsprecher.
»Bruderherz! Das ist aber eine schöne Überraschung!«
Ich schaute durch das Fernglas und sah Acheron drüben in Styx’
Wohnung. Er trug einen großen grauen Staubmantel und sah genau so
aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Er schien in all den Jahren nicht
einen Tag älter geworden zu sein. Mir lief ein Schauder über den
Rücken.
»Scheiße«, murmelte ich. Snood hatte Tamworths Piepsernummer
schon gewählt.
»Mücken haben die blaue Ziege gestochen«, raunte er in den Hörer.
»Danke. Könnten Sie das wiederholen und zweimal senden?«
Mein Herz schlug schneller. Acheron würde vermutlich nicht lange
bleiben, und ich hatte gute Chancen, die LitAgs ein für allemal hinter
mir zu lassen. Wenn ich Hades schnappte, war mir eine Beförderung
praktisch sicher.
- 51 -
»Ich gehe rüber«, sagte ich so beiläufig wie möglich.
»Was?!«
»Hören Sie schlecht? Sie bleiben hier und fordern bei SO-14
bewaffnete Verstärkung an, ohne Blaulicht und Sirene. Sagen Sie
denen, daß wir reingegangen sind und sie das Gebäude umstellen
sollen. Der Verdächtige ist mit ziemlicher Sicherheit bewaffnet und
gefährlich.«
Snood setzte dasselbe Lächeln auf, das mir an seinem Sohn so gut
gefallen hatte, und griff zum Telefon. Ich wandte mich an Buckett.
»Sind Sie dabei?«
Buckett wirkte etwas blaß um die Nase.
»Ich … äh … bin dabei«, antwortete er. Seine Stimme bebte leicht.
Ich stürzte zur Tür hinaus und die Treppe hinunter zum Ausgang.
»Next …!«
Buckett. Er war stehengeblieben und zitterte am ganzen Körper.
»Was ist?«
»Ich … ich … kann das nicht«, gestand er, lockerte seine Krawatte
und massierte sich den Nacken. »Ich habe Frau und Kind! – Sie ahnen
ja nicht, wozu er imstande ist. Ich bin ein Spieler, Next. Je höher das
Risiko, desto besser. Aber wenn wir versuchen, ihn festzunehmen,
sind wir beide tot. Ich flehe Sie an, warten Sie auf SO-14!«
»Dann ist er vielleicht längst weg. Wir brauchen ihn doch bloß
festzusetzen.«
Buckett knabberte an seiner Unterlippe; der Mann stand
Todesängste aus. Schließlich schüttelte er wortlos den Kopf und
machte sich eilig aus dem Staub. Es war, gelinde gesagt, frustrierend.
Ich spielte mit dem Gedanken, ihm hinterherzurufen, als mir das Foto
von dem sabbernden Säugling wieder einfiel. Ich zog meine
Automatik, stieß die Haustür auf und ging langsam über die Straße auf
das gegenüberliegende Gebäude zu. Da hielt Tamworths Wagen
neben mir. Tamworth machte
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