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01_Der Fall Jane Eyre

01_Der Fall Jane Eyre

Titel: 01_Der Fall Jane Eyre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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erwiderte ich, genervt von seinen
    absurden Fragen.
    »Ins Auge, sagst du? – Die Zeit ist aus den Fugen«, murmelte er und
    machte sich noch eine Notiz.
    » Was ist aus den Fugen?« fragte ich, weil ich ihn nicht verstanden
    hatte.
    »Nichts, nichts. Wie gut, daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam
    …«
    »Hamlet?« fragte ich, als ich das Zitat erkannte.
    Statt einer Antwort hörte er auf zu schreiben, klappte das Notizbuch
    zu und massierte sich geistesabwesend mit den Fingerspitzen die
    Schläfen. Die Welt ruckelte eine Sekunde weiter und blieb dann
    wieder stehen. Nervös sah mein Vater sich um.
    »Sie sind mir auf den Fersen. Danke für deine Hilfe, Schatz. Wenn
    du deine Mutter siehst, sag ihr, daß sie das Schlafzimmer nicht mauve
    streichen soll.«
    »Alles außer mauve, stimmt’s?«
    »Stimmt.«
    Lächelnd berührte er meine Wange. Ich bekam feuchte Augen; diese
    Besuche waren viel zu kurz. Er spürte, daß ich traurig war, und
    schenkte mir ein Lächeln, wie es sich wohl jedes Kind von seinem
    Vater wünscht. Dann sagte er: »Denn ich schaute das Vergangene, so
    weit das SpecOp-Auge reicht …«
    Er hielt inne, und ich beendete die Strophe des alten ChronoGarden-Liedes, das mir mein Vater als kleines Mädchen immer

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    vorgesungen hatte: »… und die Welt lag mir zu Füßen, einem Meer
    von Möglichkeiten gleich!«
    Und dann war er weg. Ein Ruck ging durch die Welt, als die Uhr
    wieder in Gang kam. Der Barmann beendete seinen Satz, die Vögel
    flogen in ihre Nester, der Fernseher meldete sich mit einem
    ekelerregenden SmileyBurger-Spot zurück, und der Radfahrer auf der
    anderen Straßenseite landete mit einem dumpfen Schlag auf dem
    Asphalt.
    Alles ging weiter, als sei nichts gewesen. Niemand außer mir hatte
    Dad kommen und gehen sehen.
    Ich knabberte abwesend an meinem Krabbensandwich und nippte
    von Zeit zu Zeit an einer Tasse Mokka, die eine Ewigkeit zu brauchen
    schien, um auf Trinktemperatur abzukühlen. Es war nicht viel Betrieb,
    und Stanford, der Wirt, spülte Geschirr. Ich legte meine Zeitung weg,
    um ein wenig fernzusehen, als das Logo des Toad News Network auf
    dem Bildschirm erschien.
    Toad News, ein Tochterunternehmen der Goliath Corporation, war
    der größte Nachrichtensender Europas. Er versorgte sein Publikum
    rund um die Uhr mit aktuellen Meldungen; da konnten die nationalen
    Sender beim besten Willen nicht mithalten. Goliath verlieh Toad
    jedoch nicht nur Stabilität und finanzielle Sicherheit, sondern auch
    eine leicht anrüchige Note. Vielen mißfiel der Monopolcharakter des
    Konzerns, und das Toad News Network mußte ein gerüttelt Maß an
    Kritik einstecken, obwohl der Sender wiederholt bestritt, daß die
    Muttergesellschaft das Sagen hatte.
    »Hier«, dröhnte die Stimme des Ansagers, begleitet von
    dramatischer Musik, »ist das Toad News Network. Ihr
    Nachrichtensender mit Meldungen aus aller Welt, aktuell, informativ
    und kompetent, JETZT!«
    Die Nachrichtensprecherin kam ins Bild und lächelte freundlich in
    die Kamera.
    »Hier sind die 12-Uhr-Nachrichten vom Montag, den 6. Mai 1985,
    mein Name ist Alexandria Belfridge. Die Krim«, verkündete sie,
    »geriet diese Woche einmal mehr ins Blickfeld internationaler

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    Aufmerksamkeit, als die Vereinten Nationen die UN-Resolution
    PN17296 verabschiedeten, die England und die Russische
    Reichsregierung zu neuerlichen Verhandlungen über die Zukunft der
    Halbinsel bewegen soll. Während der Krimkrieg in sein 131. Jahr
    geht, drängen politische Interessengruppen im Inland und Ausland auf
    ein friedliches Ende der Feindseligkeiten.«
    Ich schloß die Lider und stöhnte leise vor mich hin. Ich hatte meine
    patriotische Pflicht anno ’73 erfüllt und die traurige Wahrheit des
    Krieges jenseits von Glanz und Gloria mit eigenen Augen gesehen.
    Die Hitze, die Kälte, die Angst und den Tod. Die Sprecherin fuhr mit
    einem unverkennbar chauvinistischen Unterton fort: »Als es den
    englischen Streitkräften 1975 gelang, die Russen aus ihren letzten
    Stellungen auf der Krim zu vertreiben, galt dies als beispielloser
    Triumph über einen übermächtigen Feind. Seit damals sind die
    Fronten jedoch verhärtet, und Sir Gordon Duff-Rolecks faßte die
    Stimmung im Lande anläßlich einer Friedenskundgebung am
    Trafalgar Square folgendermaßen zusammen …«
    Aufnahmen von einer großen und überwiegend friedlichen
    Demonstration im Zentrum Londons wurden eingespielt. DuffRolecks stand auf einem Podium und sprach in einen

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