01_Der Fall Jane Eyre
Erklärung zu dem Zwischenfall
abgegeben.
Die Nachrichten waren noch nicht zu Ende, aber mein Interesse war
erschöpft. Der Präsident hatte in Dungeness eine neue
Kernfusionsanlage eröffnet. Als das Blitzlichtgewitter losbrach, setzte
er ein professionelles Grinsen auf. Ich widmete mich wieder meiner
Zeitung und las einen Artikel über einen Gesetzesentwurf, der vorsah,
den Dodo angesichts der beängstigend angewachsenen Population von
der Liste der geschützten Arten zu streichen, konnte mich jedoch nicht
konzentrieren. Die quälenden Erinnerungen an den Krimkrieg gingen
mir nicht aus dem Kopf. Zum Glück holte mich das Signal meines
Piepsers schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Ich warf ein paar
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Scheine auf den Tresen und rannte zur Tür hinaus, während die ToadNews-Sprecherin mit düsterer Stimme den Mord an einem jungen
Surrealisten verkündete – erstochen von radikalen Anhängern der
französischen Impressionisten.
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2.
Gad’s Hill
… Was die Elastizität der Zeit betrifft, streiten sich die
Wissenschaftler. Die einen sind der Auffassung, die Zeit
sei äußerst unbeständig, so daß noch das scheinbar
belangloseste Ereignis den möglichen Ausgang der
Zukunft nachhaltig verändern könne. Die anderen
betrachten die Zeit als starres Gebilde, das allen
Versuchen zum Trotz immer wieder auf eine
determinierte Gegenwart zurückspringt. Ich kümmere
mich nicht um derartige Banalitäten. Ich verkaufe
lediglich Krawatten …
Krawattenverkäufer, Victoria Station, Juni 1983
Mein Piepser hatte mir eine beunruhigende Nachricht übermittelt:
Das Unstehlbare war gestohlen worden. Das Manuskript von Martin
Chuzzlewit war nicht zum ersten Mal verschwunden. Zwei Jahre zuvor
hatte ein Museumswächter es aus seiner Vitrine entwendet, einfach
weil er das Buch in seiner reinen, unverfälschten Form genießen
wollte. Da ihn jedoch Gewissensbisse quälten und er schon nach drei
Seiten die Segel streichen mußte, weil er Dickens’ Handschrift nicht
lesen konnte, gab er das Manuskript schließlich zurück und legte ein
umfassendes Geständnis ab. Zur Strafe mußte er fünf Jahre über den
Kalköfen am Rande von Dartmoor schwitzen.
Zwar hatte Charles Dickens seine letzten Lebensjahre in Gad’s Hill
Place verbracht, Martin Chuzzlewit jedoch in Devonshire Terrace
geschrieben, wo er und seine erste Frau bis 1843 wohnten. Gad’s Hill
ist ein großer viktorianischer Bau bei Rochester, der sich, als Dickens
ihn kaufte, eines herrlichen Ausblicks auf den Medway erfreute.
Wenn man die Augen zusammenkneift und sich die Ölraffinerie, das
Schwerwasserwerk und die ExcoMat-Labors wegdenkt, kann man
leicht nachvollziehen, was ihn an diesem Teil Englands gereizt hat.
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Täglich drängen sich mehrere tausend Besucher auf den Gängen von
Gad’s Hill, womit es – nach Anne Hathaways Hütte und dem
berühmten Haworth House der Brontë-Schwestern – den dritten Platz
unter den beliebtesten literarischen Pilgerstätten Englands einnimmt.
Der Ansturm dieser Menschenmassen hatte zu erheblichen
Sicherheitsproblemen geführt; seit ein Geistesgestörter in Chawton
eingebrochen war und damit gedroht hatte, sämtliche Briefe Jane
Austens zu vernichten, wenn seine mäßig spannende und reichlich
durchwachsene Austen-Biographie nicht unverzüglich einen Verleger
fände, wollte niemand mehr ein unnötiges Risiko eingehen. Damals
war alles glimpflich abgegangen, und doch ließ dieser Zwischenfall
nichts Gutes ahnen.
Ein Jahr später hatte in Dublin eine organisierte Bande Jonathan
Swifts Nachlaß als Geisel genommen. Es war zu einer längeren
Belagerung gekommen, in deren Verlauf zwei der Täter erschossen
und diverse politische Originalpamphlete sowie eine frühe Fassung
von Gullivers Reisen vernichtet worden waren.
Das Unvermeidliche geschah. Alle literarischen Reliquien wurden
unter Panzerglas gelegt und mittels modernster Elektronik von
bewaffneten Beamten bewacht. Das wollte zwar niemand, aber eine
andere Lösung gab es nicht. Seitdem war es zu keinen größeren
Problemen mehr gekommen, was den Raub von Martin Chuzzlewit
um so erschreckender erscheinen ließ.
Ich stellte den Wagen ab, klemmte mir meine SO-27-Marke an die
Brusttasche und zwängte mich durch die Massen von Presseleuten und
Gaffern. Als ich Boswell entdeckte, schlüpfte ich unter der
Polizeiabsperrung hindurch und ging zu ihm.
»Guten Morgen, Sir«, murmelte ich. »Ich bin gekommen, so
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