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01_Der Fall Jane Eyre

01_Der Fall Jane Eyre

Titel: 01_Der Fall Jane Eyre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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einsam. Sehr einsam sogar. Und wie geht’s dir?«
    Ich wollte ihm sagen, daß auch ich einsam gewesen war, aber
    manches läßt sich eben nicht so einfach sagen. Er sollte wissen, daß

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    ich ihm noch immer übelnahm, was er damals auf der Krim getan
    hatte. Vergeben und vergessen, schön und gut, doch für meinen
    Bruder galt das leider nicht. Anton war in jedem Sinne des Wortes
    gestorben, und das verdankte er Landen.
    »Hervorragend.« Ich dachte nach. »Nein, eigentlich nicht.«
    »Ich höre.«
    »Ehrlich gesagt, es geht mir beschissen. Ich habe in London zwei
    Kollegen verloren. Ich bin hinter einem Irren her, den die meisten
    Leute für tot halten, Mycroft und Polly sind entführt worden, Goliath
    sitzt mir im Nacken, und mein SpecOps-Bezirkskommandeur will
    mich so schnell wie möglich vom Dienst suspendieren. Alles bestens,
    wie du siehst.«
    »Verglichen mit der Krim sind das doch Peanuts, Thursday. Laß
    dich nicht verrückt machen.«
    Landen rührte drei Stück Zucker in seinen Kaffee, und ich fragte:
    »Möchtest du, daß wir wieder zusammenkommen?«
    Die Offenheit meiner Frage verblüffte ihn. Er zuckte mit den
    Schultern. »Ich glaube, wir waren nie wirklich getrennt.«
    Ich wußte genau, was er meinte. Und spirituell gesehen hatte er
    durchaus recht.
    »Die Zeit der Entschuldigungen ist vorbei, Thursday. Du hast einen
    Bruder verloren. Ich ein paar gute Freunde, meine ganze Kompanie
    und ein Bein. Ich weiß, wieviel Anton dir bedeutet, aber ich habe mit
    eigenen Augen gesehen, wie er Colonel Frobisher das falsche Tal
    zeigte, als die Leichte Brigade aufbrach. Es war ein verrückter Tag,
    und es waren verrückte Umstände, aber so war es nun einmal, und ich
    mußte sagen, was ich gesehen hatte …!«
    Ich sah ihm fest in die Augen. »Bevor ich auf die Krim ging, dachte
    ich, der Tod wäre das Schlimmste, was einem Menschen zustoßen
    kann. Aber bald wurde mir klar, daß der Tod nur der Anfang ist.
    Anton ist gefallen; damit kann ich leben. In jedem Krieg sterben
    Menschen; das läßt sich nicht vermeiden. Na gut, es war ein

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    militärisches Debakel von erschreckendem Ausmaß. Auch die
    kommen vor, von Zeit zu Zeit. Auf der Krim und anderswo.«
    »Thursday!« flehte Landen. »Was ich damals ausgesagt habe, war
    nichts als die Wahrheit!«
    »Was heißt hier Wahrheit?« fuhr ich ihn wütend an. »Die Wahrheit
    ist immer das, womit wir am besten leben können. Der Staub, die
    Hitze, der Lärm! Was auch immer damals passiert ist, die Wahrheit
    ist, was in den Geschichtsbüchern steht. Das, was du vor dem
    Kriegsgericht ausgesagt hast! Anton hat vielleicht einen Fehler
    gemacht, aber er war doch nicht der einzige an diesem Tag!«
    »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er auf das falsche Tal
    gezeigt hat, Thursday.«
    »So ein Fehler wäre ihm nie unterlaufen.«
    Ich verspürte einen Zorn, den ich seit zehn Jahren nicht verspürt
    hatte. Anton hatte als Sündenbock herhalten müssen, weiter nichts.
    Die hohen Militärs hatten sich wieder einmal aus der Verantwortung
    gestohlen, und der Name meines Bruders war als der des Mannes, der
    die Leichte Brigade auf dem Gewissen hatte, ins nationale Gedächtnis
    und die Geschichtsbücher eingegangen. Sowohl der Befehlshaber als
    auch Anton waren bei der Schlacht ums Leben gekommen. So war es
    Landen gewesen, der den Bericht schreiben mußte.
    Ich stand auf.
    »Willst du etwa schon wieder davonlaufen, Thursday?« fragte
    Landen. »Wie lange eigentlich noch? Ich hatte gehofft, du wärest
    milder geworden, daß wir vernünftig miteinander umgehen können,
    daß noch ein Rest Liebe in uns steckt, aus dem sich etwas machen
    läßt.«
    Ich funkelte ihn wütend an.
    »Und wie steht es mit deiner Loyalität, Landen? Er war immerhin
    dein bester Freund!«
    »Und ich habe es trotzdem gesagt«, seufzte Landen. »Eines Tages
    wirst du dich damit abfinden müssen, daß Anton Mist gebaut hat. Das
    kann passieren, Thursday. Das kann passieren.«

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    Wir starrten uns an.
    »Werden wir je darüber hinwegkommen, Thursday? Ich muß das
    dringend wissen.«
    »Dringend? Wieso dringend? Nein«, antwortete ich, »nein, nein und
    nochmals nein. Tut mir leid, daß ich deine Zeit verschwendet habe!«
    Ich rannte aus dem Café, in Tränen aufgelöst und voller Zorn, auf
    mich selbst, auf Landen und Anton. Ich dachte an Snood und
    Tamworth. Wir hätten auf Verstärkung warten sollen; Tamworth und
    ich hatten Mist gebaut, weil wir allein hineingegangen waren,

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