01_Der Fall Jane Eyre
den
Richard neben Lola Vavoom spielen dürfen, die derzeit in der
Musicalversion von Ganz locker in Ludlow am Swindon Crucible
auftrat. Es war ein ganz besonderes Erlebnis für ihn gewesen, und in
den nächsten vier Wochen würde er sich vor Essenseinladungen kaum
retten können.
Landen erwartete mich am Eingang des Theaters. In fünf Minuten
sollte es losgehen, und der Direktor hatte die Schauspieler schon
ausgewählt – und einen Reservemann, falls jemand durchdrehte oder
das Klo vollkotzte.
»Danke, daß du gekommen bist«, sagte Landen.
»Ja«, antwortete ich, küßte ihn auf die Wange und nahm einen tiefen
Atemzug von seinem Aftershave. Es war Bodmin; ich erkannte den
erdigen Duft.
»Und? Wie war dein erster Tag?« fragte er.
»Eine Entführung, Vampire, ich habe einen Verdächtigen
erschossen, einen Zeugen an einen Profikiller verloren, Goliath hat
versucht, mich umlegen zu lassen, und außerdem hatte ich einen
Platten. In einem Wort: der übliche Mist.«
»Einen Platten? Im Ernst?«
»Nicht ganz. Den Platten hab ich erfunden. Also, das mit gestern
abend tut mir leid. Ich glaube, ich nehme meine Arbeit ein bißchen zu
ernst.«
»Andernfalls«, sagte Landen und lächelte verständnisvoll, »würde
ich mir wirklich Sorgen machen. Komm, es fängt gleich an.«
Er nahm mich am Arm, eine vertraute Geste, die ich immer schon
als angenehm empfunden hatte, und führte mich in den Saal. Das
Publikum schwatzte laut durcheinander, und die grellbunten Kostüme
der Zuschauer, die keine Rolle mehr ergattert hatten, gaben der
Veranstaltung etwas von einer Gala. Ich spürte die Spannung, die in
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der Luft lag, und mir wurde klar, wie sehr sie mir gefehlt hatte. Wir
gingen zu unseren Plätzen.
»Wann warst du das letzte Mal hier?« fragte ich, als wir es uns
bequem gemacht hatten.
»Mit dir«, antwortete Landen, stand auf und applaudierte begeistert,
als sich, begleitet von einer mißtönenden Fanfare, der Vorhang hob.
Ein Conferencier in einem rotgefütterten schwarzen Umhang kam
auf die Bühne gerauscht. »Will-kommen, ihr Will-fährigen R3-Fans,
im Ritz zu Swindon, wo heute abend (Trommelwirbel) zu eurem
ERGETZEN, eurer ERBAUUNG und SHAKESPEARIFIKATION
Wills Richard III. gegeben wird, fürs Publikum, vor Publikum, VOM
PUBLIKUM!«
Die Menge johlte, und er brachte sie mit erhobenen Händen zum
Schweigen.
»Aber ehe wir anfangen!… bitte ich um einen donnernden Applaus
für Ralph und Thea Swanavon, die heute zum zweihundertsten Mal
dabei sind!!!«
Die Menge klatschte frenetisch Beifall, als Ralph und Thea aus der
Kulisse traten. Sie waren als Richard und Lady Anne verkleidet und
knicksten und verbeugten sich vor den Zuschauern, die Blumen auf
die Bühne warfen.
»Ralph hat siebenundzwanzigmal Dick the Shit gegeben und
zwölfmal Creepy Clarence ; Thea hat einunddreißigmal die Lady Anne
und achtmal die Marianne gespielt!«
Das Publikum stampfte johlend mit den Füßen.
»Zur Feier ihres 200. Jubiläums werden sie heute abend zum ersten
Mal zusammen auftreten!«
Sie knicksten beziehungsweise verbeugten sich noch einmal,
während das Publikum wild applaudierte und der Vorhang fiel,
steckenblieb, wieder aufging und sich endlich schloß.
Nach einer kurzen Pause hob sich der Vorhang erneut und gab den
Blick frei auf Richard, der am Bühnenrand stand. Er hinkte kreuz und
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quer über die Bretter und starrte an einer ausgesucht häßlichen
Pappnase herunter böse ins Publikum.
»Schmierenkomödiant!« brüllte jemand von den hinteren Plätzen.
Richard wollte gerade zu seinem ersten Satz anheben, da rief das
gesamte Publikum wie aus einem Munde: » Wann ist der Winter
unseres Mißvergnügens?«
»Jetzt«, antwortete Richard mit einem nachgerade teuflischen
Lächeln, »ward der Winter unseres Mißvergnügens …«
Ein Jubelschrei erhob sich bis hinauf zu den Kronleuchtern unter der
hohen Decke. Das Stück hatte begonnen. Landen und ich jubelten mit.
Richard III. gehörte zu den Stücken, die das Gesetz vom tendenziellen
Fall der Profitrate eindeutig widerlegten; es machte immer wieder
Spaß.
»… Glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks«, fuhr Richard fort
und humpelte zum Bühnenrand. Bei dem Wort »Sommer« setzten
sechshundert Menschen dunkle Brillen auf und blickten in eine
imaginäre Sonne.
»… die Wolken all, die unser Haus bedräut, sind in des Weltmeers
tiefem Schoß begraben …«
»Wann zieren unsere Brauen Siegeskränze?«
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