01 - Der Geist, der mich liebte
was du im Bad gemacht hast?« Da war dieser eisige Hauch gewesen, der mir den Atem genommen hatte.
Wieder nickte er. »In der ersten Nacht, als du geschlafen hast, habe ich es auch versucht. Ich hätte damit rechnen müssen, dass du erschrickst und mir nicht genügend Zeit bleibt, um dich zu beruhigen. Je weniger Atem ich nehme, umso schneller lässt die Wirkung nach.«
»Warum hast du dann nicht mehr genommen?«
»Zu gefährlich.« Seine blauen Augen ruhten auf mir, ernst und beinahe ein wenig besorgt. Einen Moment lang schwieg er, als suche er nach den richtigen Worten, mit denen er die Spielregeln seines Geisterdaseins erklären konnte. Schließlich fuhr er fort: »Warmen menschlichen Atem zu spüren ... das Gefühl, wieder lebendig zu sein ... körperlich. Es ist so stark, dass du unwillkürlich immer
mehr willst. Du willst kein kalter, lebloser Schemen mehr sein. Du willst fühlen und leben. Atmen. Mit jedem Atemzug, den du aufnimmst, wächst das Bedürfnis nach Leben und damit die Gefahr, zu viel Atem zu nehmen.«
Ich starrte ihn an. »Soll das heißen, du könntest wieder lebendig werden, wenn du einem Lebenden den Atem ... wenn du ihn aussaugst?«
»Ich müsste töten, um wieder leben zu können.«
Heiliger Strohsack! Ich war froh, dass ich saß, denn meine Beine fühlten sich plötzlich ziemlich wacklig an. Er hätte mir jederzeit mein Leben nehmen können!
»Die Versuchung ist sehr groß.« Er ließ mich noch immer nicht aus den Augen, als wollte er meine Reaktion abschätzen. »Aber ich bin kein Mörder. Deshalb habe ich es nur diese beiden Male gemacht - und immer nur sehr wenig. Ich könnte dir nie etwas antun, Sam.«
Zu meinem eigenen Erstaunen glaubte ich ihm. Andernfalls hätte er sich den ganzen Aufwand, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen, sparen können. Für ihn wäre es um einiges einfacher gewesen, mich auszusaugen und auf diesem Weg wieder lebendig zu werden. Sichtlich hatte er sich in der Gewalt. Allmählich begann ich, ihm zu vertrauen. »Kann ich dich etwas fragen?«
»Was willst du wissen?«
»Gibt es Zombies?«
Offenbar war die Frage bescheuert genug, um ihn erneut zum Lachen zu bringen. Trotzdem - vor mir saß ein Geist! Und das, obwohl ich nie an Geister geglaubt hatte! Ich wollte einfach sichergehen, dass ich - wenn es das nächste
Mal an der Tür klingelte - nicht plötzlich doch einem Zombie gegenüberstand.
»Nein, Sam«, lachte er vergnügt. »Es gibt keine Zombies. Zumindest bin ich noch keinem begegnet.«
Das erleichterte mich. Plötzlich musste ich gähnen, und als ich ihn wieder ansah, verschwammen seine Umrisse vor meinen Augen. War ich so müde, dass ich nicht mehr vernünftig geradeaus schauen konnte ? Blinzelnd versuchte ich, ihn zu fixieren.
»Es liegt nicht an dir«, sagte er. »Das ist die Dämmerung. In wenigen Augenblicken wirst du mich nicht mehr sehen können.«
Ich sah zum Fenster, wo ich - nebenbei bemerkt - vergessen hatte, die Vorhänge zuzuziehen. Tatsächlich zeigte sich am Horizont ein erster heller Streifen, der rasch näher zu kriechen schien. Und mit jeder verstreichenden Sekunde wurde mein Gespenst durchscheinender. Bald konnte ich durch ihn hindurch die Sessellehne erkennen und dann war er nur noch ein heller Nebel, in dem ich seine Züge nicht mehr ausmachen konnte.
»Nicholas?« Es war das erste Mal, dass ich ihn beim Namen nannte. »Ich weiß nicht einmal, wer du bist.«
»Das erzähle ich dir nach Einbruch der Dunkelheit.« Seine Stimme klang als leises Echo durch den Raum. Dann war die Kälte, die mich umgab, das einzige Anzeichen, dass er noch da war.
Nachdem ich Nicholas nicht mehr sehen konnte, saß ich eine ganze Weile still da und starrte auf den Sessel, in dem ich ihn noch immer vermutete. Wie verhielt man sich in Gegenwart eines Geistes? Sollte ich jetzt, da ich wusste, dass er mich immer noch hören konnte, weiter mit ihm sprechen? Das kam mir albern vor. Fast noch blöder als die Selbstgespräche, die ich während der letzten Tage immer wieder geführt hatte. Andererseits fand ich es unhöflich, ihn die ganze Zeit anzuschweigen. Ich löste das Problem, indem ich mich in meine Decke wickelte und augenblicklich einschlief.
Als ich später aufwachte, war es bereits Nachmittag. Ich aß etwas und machte mich dann über meine Arbeit her. Eigentlich stand mir keineswegs der Sinn danach, Schränke auszusortieren. Viel lieber wollte ich wissen, wer Nicholas war, wo er herkam und wie er gestorben war. Die Arbeit half mir lediglich,
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