01 - Die verbotene Oase - Mein neues Leben im Harem der Frauen
ich weiß, welche Pflanzen den Schleier heben können, der sich über die trauernde Seele gelegt hat.
Ich bin auch ein Mensch, der innere Stärke braucht, um eine Heilerin sein zu können.
Mama Chogas Tee? Ein paar Tage würden wir sicher auch ohne zurechtkommen. Der den Milchfluss anregende Tee, den Nana brauchte, um zwei Säuglinge zu stillen? Ich würde ihn morgen machen. Tanishas fällige Aufbaunahrung? Erst musste das Fieber weiter sinken.
Für alles fand ich Ausreden, floh vor der Verantwortung, die mich niederdrückte wie eine übermächtige Last. Meistens saß ich auf der Veranda, sah dem niedergehenden Regen zu, dachte gleichzeitig an die Bewässerungsanlagen der Felder, das Telefon, das wir unbedingt brauchten, den nötigen Wiederaufbau des Heilhauses und der Schule, ja, und auch der Kirche. Dabei hatte ich stets die Ruinen im Blick, die sich immer weiter mit Wasser voll sogen. Wer auch immer zu mir kam, erhielt dieselbe Antwort: dass ich Ruhe brauchte, um nachzudenken.
Meine Gedanken kreisten um die stets gleichen Fragen. Weitermachen oder aufgeben? Was nutzten all die Anstrengungen, die Gesundheit meiner Gefährtinnen und der Kinder zu erhalten, wenn es eines einzigen brennenden Stocks bedurfte, um all das zunichte zu machen? Was ging in solchen Männern vor, die mit Gewalt versuchten, anderen Menschen ihren Willen aufzuzwingen?
Nach Mama Ngozis trauriger Beisetzung, die bei den Bougainvilleabüschen in strömendem Regen stattfand, träumte ich von ihr. Ich sah sie vom tödlichen Hieb getroffen in den Staub fallen und hatte selbst das Messer geführt. Welche Schuld traf mich an ihrem Tod? Wäre all das zu verhindern gewesen, wenn ich nicht genauso wie Ngozi auf meinen Prinzipien beharrt hätte? Ihre letzten Worte hatten vom Respekt gesprochen, der ihr so wichtigen Tugend, die sie mir gegenüber eingefordert hatte. Wahrscheinlich hatte ich zu wenig Achtung vor ihr gehabt, sie nur für einen Störenfried gehalten. Jetzt merkte ich, dass gerade Ngozi mir immer fehlen würde. Eben weil sie meine Ansichten beharrlich in Frage gestellt hatte. Alle anderen waren so lieb zu mir, nannten mich „Choga, unsere Heilerin“. Ngozi jedoch hatte mich so gesehen, wie ich auf diese Welt gekommen war - als Mensch. Mit Fehlern, mit einer Menge Irrtümer und mit Hochmut.
Ich missachtete den Regen und wollte wohl noch tiefer in meinem Selbstmitleid versinken, indem ich durch die Trümmer stapfte. An der Türschwelle zum Heilhaus waren meine Kraftobjekte im Boden vergraben. Mit bloßen Händen scharrte ich das unversehrt gebliebene Tongefäß aus dem festgestampften Lehmboden. Während ich die kleinen Stöcke, Flussmuscheln, Steine und Krebspanzer in Händen hielt, wurde mir klar, dass das Wichtigste nicht verloren gegangen war: mein Wissen. Doch meine Verfassung machte es nutzlos wie diese Gegenstände, die erst durch mein Ritual zu Kraftobjekten wurden.
Schließlich stand ich in den Überresten der Kirche. Mit „ Wehmut erinnerte ich mich an die Debatte zwischen meinem Vater und meiner Mutter, die vor über 13
Jahren ihrem Bau vorausgegangen war. Nach einer guten Ernte hatte meine Mutter Saatgut und Bewässerungssysteme kaufen wollen, Papa David aber hatte auf der Errichtung einer Kirche bestanden. Bisis Sohn Jo hatte dann für den Altar einen schwarzen Jesus am Kreuz geschnitzt. Ausgerechnet dieses Kreuz lag, vom ;
Regen blank gewaschen, fast unversehrt inmitten von verkohlten Resten. Nur den Querbalken, die erste Schnitzarbeit, die ich mit Jo gefertigt hatte, hatte das Feuer geschwärzt.
Ich trug das Kreuz mit dem schwarzen Jesus durch den Regen zum Haus, wuchtete es die Stufen der Veranda hinauf und in die Eingangshalle hinein. Ich nahm mein Tuch vom Kopf und begann, Kreuz und Figur damit trockenzuwischen. Ein ziemlich sinnloses Unterfangen mit einem nassen Stück Stoff. Erst half Efe mir, dann Bisi und schließlich rieben wohl ein Dutzend Frauen an dem Kreuz herum.
„Das ist nicht schlimm, dieses kleine angekohlte Stück. Da setze ich etwas dagegen. Dann sieht man später nichts mehr“, meinte Mama Ada.
„Ich weiß nicht“, überlegte ich laut, „vielleicht sollte es so bleiben.“
„Du hast Recht“, stimmte Bisi zu, „das Kreuz erinnert auch an die Auferstehung.“
Mehr musste sie nicht sagen. Denn das einzige Stück, das aus den in Schutt und Asche verwandelten Gebäuden aufgetaucht war, sollte uns von nun an und für immer an etwas erinnern: Die Hoffnung, dass die Menschen irgendwann zur
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